Google Analytics: Wunsch und Wirklichkeit
Normalerweise durchlaufen neue Google Services eine lange Beta-Phase, in der sie im kleinen Nutzerkreis erprobt und optimiert und dann sukzessive für größere Nutzerkreise freigegeben werden. Aber zu Google Analytics gab es keine Beta-Phase. Und normalerweise funktionieren Googles Dienste leidlich gut – hier geht derzeit nichts und Google hüllt sich in Schweigen. Selbst in der speziellen Newsgroup zum Tool findet man zahlreiche Beschwerden, aber keine Stellungnahme von Google. Und auch Google Analytics selbst ist ein merkwürdiges Konstrukt: Google macht sich hier selbst Konkurrenz, denn bisher gab es viele zahlende Urchin-Kunden, die sich jetzt zweifellos fragen werden, wo der Unterschied von mehreren hundert Dollar pro Monat zwischen Bezahl- und Gratis-Service liegt. Und wenn die zahlenden Kunden tatsächlich benfalls von derr Nicht-Verfügbarkeit des Dienstes betroffen sind, dann ist das erst recht sehr ärgerlich.
Auch die Konkurrenz dürfte alles andere als begeistert sein: Google Analytics greift einige Bezahldienste frontal an, da die Auswertungen enorm umfangreich sind (kein Wunder: Urchin ist einer der Marktführer auf diesem Gebiet). Standard sind natürlich Auswertungen von Herkunft, IP, Browser-Versionen, Bildschirm-Auflösungen, verwendeten Betriebssystemen, Referrer, evtl. genutzten Suchbegrifen, aber auch Einstiegs- und Ausstiegsseiten und Pfadanalysen sollen möglich sein (wenn es denn funktioniert. Und besonders spannend wird es, wenn Konversionsziele überwacht und der Erfolg von AdWords-Kampagnen analysiert werden können. Hinzu kommt, dass Google Analytics alle Ergebnisse in nette Übersichten und Diagramme verpackt, die sogar die Chefetage überzeugen können.
Das alles liefert aber erst recht nur wenige Hinweise darauf, warum Google genau diesen Weg gegangen ist und das Analysewerkzeug kostenlos für jedermann anbietet. Schließlich soll Google Gerüchten zufolge rund 30 Mio. Dollar für Urchin hingelegt haben – nur um die Services zu verschenken? Und sich jetzt mit den technischen Problemen, die es offenbar noch gibt, zusätzlich eine Menge Frust einhandelt? In einigen Foren werden denn auch sehr eigenwillige Ziele von Google vermutet:
- Google macht das alles, weil man einfach zu viel Geld hat …. naja: ziemlich unwahrscheinlich, dass die Aktionäre damit einverstanden wären.
- Google ging es darum, den Markt zu dominieren und die Konkurrenz auszuschalten …. das ist auch nicht wirklich ein einleuchtender Grund, oder?
- Google ist eine Datenkrake und es geht darum, möglichst viele daten und Profile von Webusern und Sitebetreibern zu sammeln …. maybe – aber was will man mit den Profilen und Daten wirklich?
- In Wirklichkeit stecken hinter all diesen Google-Aktivitäten Geheimdienste – und die wissen schon, wofür sie die Daten haben wollen …. jaja, is schon klar.
Okay, mal ganz im Ernst: Schaut man sich die Urchin-Akquisition genauer an, dann macht das Vorgehen von Google durchaus Sinn. Das Ausliefern von Suchmaschinen-Resultaten ist nämlich längst nur ein Teilbereich der Aktivitäten. Viel wichtiger (und lukrativer) ist das Geschäft mit der Werbung.
- Googles AdWords- und AdWords-Programme haben eine enorme Reichweite … und viele Ausläufer, die kaum bekannt sind. Dumm nur, dass auch die Konkurrenz auf diesem Gebiet nicht schläft – Google muss auf der Hut sein, denn MSN, Overture und Co. wollen ihren Teil des Kuchens. Man braucht also gute Argumente, um neue Nutzer zu werben.
- Zudem wird das Geschäft mit den Kleinanzeigen im Internet bedroht: Niemand gibt in diesem Segment gerne zu, dass Klickbetrug (click fraud) eine ernstzunehmende Gefahr ist. Gleichzeitig rüstet man immer weiter auf, um solche Betrügereien aufzudecken.
Werfen wir nochmal einen Blick auf Google Analytics:
- Google Analytics steht allen Sitebetreibern kostenlos zur Verfügung – und erlaubt das Tracking der AdWords-Kampagnen … nicht MSN, nicht Overture, nicht sonst was: Google AdWords! Was liegt da näher, als AdWords mal auszuprobieren?
- Das würde auch erklären, warum Google Analytics – anders als von vielen erwartet – kein AdWords-Konto voraussetzt und nicht nur AdSense-Kunden gratis als Analysetool angeboten wird. Also eine 30-Mio.-Investition um weitere AdWords-Kunden zu werden? Nicht nur…
- Wer Google Analytics auf seiner Site nutzt, liefert Google tatsächlich kostenlos Bewegungs- und Profildaten über seine Nutzer. Ich bezeifele aber, dass Google überhaupt an der Auswertung einzelner Profile interessiert ist. Vielmehr würden diese Daten eine hervorragende Basis liefern, um weitere Maßnahmen gegen Klickbetrüger entwicklen zu können! Und würden damit auch rechtfertigen, eine 30-Mio-Investition gratis zu verteilen … zum Schutz des eigenen Kerngeschäfts.
- Und wenn Google diese Intentionen hat, würde das auch erklären, warum man nicht den üblichen Weg der geschlossenen Beta-Programme gegangen ist, sondern gleich die breite Öffentlichkeit für Google Analytics gesucht hat. Doch offenbar hat man den Ansturm unterschätzt.
Okay – natürlich sind das vor allem Vermutungen. Aber irgendwie erscheinen sie mir dann doch logischer als manche Argungente, die ich in den vergangenen Tagen in verschiedenen Foren gelesen habe. Und spannend wäre dann die Frage: Welche Web-Analyse-Spezialisten werden sich MSN und Yahoo ins Boot holen?
Nachtrag #1 (15.11.2005, 18:20):
Mittlerweile wird in einigen Foren berichtet, dass bei einigen Nutzern über 36 Stunden nach Einbau und Validierung des JavaScript-Codes die ersten Daten ausgewertet werden … deutlich mehr als die von Google angegebenen 12 Stunden. Vielleicht ist also vor allem Geduld gefragt. Bei mir und anderen scheitert es jedoch noch immer an daran, dass Google den eingebauten Code gar nicht finden mag!
Nachtrag #2 (15.11.2005, 22:05):
Langsam scheint Google Analytics in ruhigeres Fahrwasser zu kommen: Mittlerweile wurde mein Code validiert und die ersten Analyseergebnisse gibt es auch schon. Mal ein paar Tage beobachten, wie sich das System bewährt. Von einigen Nutzern werden (noch?) erhebliche Ladezeit-Verlängerungen durch die Kommunikation mit Googles Tracking-Server berichtet.
Nachtrag #3 (17.11.2005, 22:00):
Weil es so schön ist – noch ein Update. Mittlerweile hat Google 19 (!) Pageviews für den Dienstag gefunden (die Logfiles zeigen mehrere Hundert, aber irgendwann musste das System ja mal starten). Nur: Für den gestrigen Mittwoch und für heute wurden gar keine Zugriffe ausgewertet – definitiv ist das nicht korrekt. Parallel dazu kommt es sporadisch beim Seitenaufruf der zu beobachtenden Seiten zu Verzögerungen von einer halben Minute und mehr. Firefox zeigt, dass in dieser Zeit die Kommunikation mit dem google-Server erfolgen soll. Also … so wird das noch nix! Gut, dass ich nicht eDings für den Test auserkoren habe.