Amazon – Abstieg des einstigen Publikumslieblings
Die Meldung des Harenberg Buchreports war sogar heise online eine Meldung wert: Amazon.de listet Diogenes-Bücher aus! Aber tatsächlich handelt es sich nur um einen weiteren Höhepunkt, der die Arroganz des Online-Anbieters belegt… Erinnern Sie sich noch? Amazon – das war mal ein Underdog. Der Online-Buchhändler, der der alteingesessenen Konkurrenz im Internet zeigte, was eine Harke ist. Kostenloser Versand, äußerst kulanter Service, rasches Handling, umfangreiche, stimmige Informationen zum Angebot – und eine sehr ausgereifte Webpräsenz. Dass man in Deutschland den stationären Buchhandel nicht auch noch preislich unterbot, lag einzig und allein an der Buchpreisbindung.
Doch mittlerweile ist Amazon ein Riese. Marktführer ohne echte Konkurrenz. Das Angebot wird ständig ausgebaut, Bücher sind gar nicht so lukrativ … und da man die Plattform schon hat, bietet man daher auch gleich Haushaltswaren, Elektronikartikel, Musik & Videos, Software und vieles mehr. Die Masse macht’s! Allein: Kunden, Partner und Lieferanten bleiben dabei immer häufiger auf der Strecke. Und jetzt listet Amazon ein ganzes Verlagsprogramm aus, weil man sich nicht über die Einkaufsbedingungen (sprich: Rabatte und Werbezuschüsse) einigen konnte. Aber dazu kommen wir später.
Gebühren eingeführt
Alles begann damit, dass Amazon.de Ende Februar 2002 ankündigte, den bis dahin generell kostenlosen Buchversand nunmehr erst ab einer Bestellhöhe von 20 Euro zu gewähren. Für viele Kunden nachteilig, auch wenn Amazon nicht müde wurde, dies als Fortschritt und Wohltat zu preisen. Rückblickend war es der Beginn eine Kette von Nachteilen, die Amazon zukünftig für die Kunden bereit hielt.
Services für Drittanbieter
Andere Beispiele gefällig? So wuchs der Warenkatalog zwar immer weiter an – auch, da Amazon Katalogbestände von längst vergriffenen Produkten integrierte – nur sind eben auch immer mehr Produkte gar nicht mehr verfügbar. Sucht man beispielsweise nach Software, so kann es passieren, dass buchstäblich Hunderte von völlig veralteten Suchergebnissen angezeigt werden. Klar: Amazon will auch Drittanbietern den Verkauf von Neu- und Gebrauchtwaren so einfach wie möglich machen. Aber wer sucht ernsthaft nach veralteten Antivirus-Programmen? Für den Kunden ist das aber nicht die einzige Neuerung, die die Transparenz und Effektivität des Angebotes unterminiert. So hat Amazon irgendwann klammheimlich die Lieferangaben verändert. In den guten alten Tagen konnte man sich auf die Lieferangaben verlassen – heute wird nur noch eine vage Zeitspanne angegeben, wann Produkte „versandfertig“ sind. Alles, was nicht im Amazon-Lager (und damit in 24 Stunden versandfertig) ist, braucht immer mehr Zeit, bis es den Kunden erreicht.
Dass den Bestellungen kaum noch Beigaben wie Gummibärchen und Co. beigepackt werden, mag verständlich sein. Weniger verständlich ist allerdings, dass der Amazon-Produktkatalog immer häufiger „spinnt“: Angaben sind fehlerhaft, es tauchen Produkte auf, die es nie gegeben hat etc. pp. Nun kann man Fehler melden. Tut der freundliche Kunde vielleicht auch. Und wenn man Glück hat, dann verschwindet der Fehler auch … häufig aber nur, um dann nach Tagen oder Wochen unvermittelt wieder aufzutauchen. Der Support ist immer freundlich, antwortet immer mit den gleichen Floskeln – und wenn es denn gar zu arg wird, dann hört man auch mal: „Wir können da wenig machen … die Datenbank … das ist ja USA.“
Leserrezensionen
Okay, wenn man sich denn wenigstens auf den Rest verlassen könnte. Amazon ist auch deshalb groß geworden, weil Leserrezensionen ein „unverblümtes“ Meinungsbild vermittelten. Doch längst sind auch die Leserrezensionen in Verruf geraten. Mehrfach wurde nachgewiesen, dass Autoren ihre eigenen Bücher loben und die Konkurrenz niedermachen. Bei manchen Büchern ist das mittlerweile derart auffällig, dass man sich als Kunde ernsthaft fragt, ob Amazon das System nicht optimieren kann oder nur nicht optimieren will?
Das Partnerprogramm
Und wo wir dabei sind: Auch das Partnerprogramm von Amazon hat einen großen Anteil daran, dass so viele Nutzer bei Amazon bestellen. Für viele Sitebetreiber (auch uns) finanzieren die Provisionen bzw. „Werbekostenzuschüsse“ einen Teil der Serverkosten. Vor nicht allzulanger Zeit zahlte Amazon so pro Buchverkauf über das Partnerprogramm mindestens 7,5%, bei Direktlinks aber 15% Provision. Anfang des Jahres wurde die Vergütung aber gekappt. Nun gibt es nur noch 5%, wobei für manche Sonderlinks eine 2,5%-ige Zusatzvergütung gezahlt wird. Maximal also 7,5% – was faktisch bedeutet, dass sich die Provisionen der Partner mehr als halbiert haben. Zudem wird massiv ein gestaffeltes Bonussystem beworben, das die „Partner“ anhalten soll, immer mehr Produkte zu verkaufen. An sich nichts Schlechtes, nur müssen dann auch Produkte aus anderen Sortimentssparten verkauft werden (nicht nur Bücher), sonst ist es mit dem Bonus Essig.
Amazon Webservices – Service für wen?
Letztlich stehen sich die Partner also mit dem veränderten Vergütungsmodell fast immer schlechter. Doch Amazon hat ein besonderes Schmankerl für die Partner in petto: Die Amazon Webservices, die es seit einiger Zeit auch für Amazon Deutschland gibt. Damit ist es den Partnern möglich, den Produktkatalog per XML abzufragen und die Resultate direkt in eigene Webseiten einzubauen. Ein Developer-Kit steht jedem Interessenten zur Verfügung. Leider sind die deutschen Webservices allerdings nicht immer zuverlässig – und die Nutzung ist an harte Kriterien geknüpft. So darf man die Webservices nur einmal pro Sekunde abfragen, muss die Ergebnisse ansonsten zwischenspeichern. Allerdings: auch nicht länger als 24 Stunden … und Preisangaben müssen sogar stündlich aktualisiert werden. Es gibt kaum ein CMS, das diese Kriterien sauber erfüllen könnte. Und natürlich übernimmt Amazon keinerlei Gewähr, wenn die Webservices mal nicht funktionieren, falsche Daten liefern oder urplötzlich umgestellt werden. Zudem hüllt sich Amazon Deutschland im deutschsprachigen Webservices-Developer-Forum in tiefes Schweigen. Mit dem Ergebnis, dass sich die Beschwerden häufen und viele Webservices-Nutzer gefrustet sind.
Sieht man dann noch in Google diverse Angebote, die über Webservices klassisches Suchmaschinen-Spamming betreiben, dann kann man sich nur noch fragen, warum selbst bei solchen offenkundigen Verstößen gegen die Nutzungbedingungen nichts von Amazon unternommen wird. Es wäre ein leichtes, Developer-Tokens und Partner-IDs zu sperren, aber offenbar sind Verkäufe wichtiger als Regeln und partnerschaftliches Miteinander.
Goodwill verspielt
Und so verspielt Amazon Goodwill bei Kunden, Partnern und Entwicklern. Bleiben noch die Verlage und Zulieferer. Schon lange gab es Gerüchte, Amazon würde Sonderkonditionen fordern und seine Marktmacht geschickt zu nutzen wissen. Nun also wurden das gesamte Programm des Diogenes-Verlages ausgelistet – Amazon verkauft nur noch die auf Lager befindlichen Restbestände, das andere überlässt man den externen Partnern, mit denen sich der Kunde dann gegebenenfalls herumschlagen darf.
Hintergrund der Diogenes-Auslistung, der auch Bestseller wie die „Donna Leon“-Romane im Programm hat, sind offenbar gescheiterte Verhandlungen über besondere Einkaufsbedingungen. Mit den üblichen Buchhandelsrabatten ist man bei Amazon längst nicht mehr zufrieden. Harenberg berichtet dabei auch über zwei weitere Amazon-Besonderheiten: Einerseits lässt sich Amazon Werbekostenzuschüsse in Höhe von mehreren Tausend Euro pro Buch zahlen, das in Newslettern, auf Sonderseiten usw. vorgestellt wird. (Vielleicht bekomme ich deswegen immer seltener Themen-Newsletter von Amazon?) Andererseits könnte sich der Umzug der Einkaufsabteilung von Amazon Deutschland nach Slough in England abzeichnen. Das hätte nicht nur Folgen für die deutschen Verlage, die dann zukünftig (zu höheren Kosten) extra in England vorstellig werden müssten – Harenberg stellt auch die Frage, ob man in England überhaupt die Feinheiten des deutschen Buchmarktes richtig bewerten wird.
Übrigens: Auch so mancher Autor ist von Amazon frustriert. Wer ansehen muss, wie seine Bücher parallel zum Erscheinen bei Amazon bereits als „gebraucht (neuwertig)“ angeboten werden, der fürchtet um seine Tantiemen. Das erst recht, wenn sich bei manchen Büchern die Gebrauchtangebote gegenseitig unterbieten. Und es ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen, manche gewerbsmäßigen „Gebraucht“-Angebote fast schon darauf schließen lassen, dass hier gezielt die Buchpreisbindung unterlaufen wird.
Wohin geht der Weg?
Letztlich aber stellt sich für mich aber eine ganz andere Frage: Wen braucht Amazon? Das Unternehmen macht Geld, indem es anderen die Transaktionsplattform zur Verfügung stellt. Geschätzte 6% des Buchhandelsumsatzes in Deutschland werden über die Amazon-Plattform abgewickelt – Trendenz steigend. Aber wird Amazon zukünftig überhaupt selbst ein Komplettangebot vertreiben wollen? Oder wird man immer häufiger Produkte und Anbieter auslisten, die auf die Forderungen des Unternehmens nicht eingehen? Frei nach dem Motto: Die Masse macht’s! Verlage, die keine Sonderkonditionen einräumen? Überlassen wird den Marketplace-Partnern. Partner, die mit den 5% nicht zufrieden sind? Verzichten wir drauf! Entwickler, die über die Webservices lamentieren? Sollen sich doch woanders umsehen! Kunden, die unzufrieden sind? …. Tja – was ist eigentlich mit den Kunden?