E-Procurement-Studien: Wunsch und Wirklichkeit
Anlässlich der e-Procure 2003 in Nürnberg präsentierten sowohl der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) als auch trimondo, Betreiber einer der größten B2B-Online-Marktplätze Europas und ein Gemeinschaftsunternehmen von Lufthansa AirPlus und Deutsche Post, neue Studien zur Akzeptanz der Online-Beschaffung in Unternehmen. Auch wenn es sich bei trimondo nur um ein Zwischenergebnis handelt (die Untersuchung läuft noch bis zum Herbst 2003) sind die Ergebnisse doch interessant. Gemein ist beiden Studien, dass die Befragten durchaus Wünsche an E-Procurement-Lösungen äußern, die von den heute üblichen Systemen nur zum Teil abgedeckt werden. Auch in der Ansicht, dass der Einsatz der Online-Beschaffung weiter zunimmt, sind sich die Studien einig. Nach der BME-Studie nutzen rund 47 Prozent der deutschen Industrieunternehmen derzeit elektronische Marktplätze im Einkauf; weitere 16 Prozent planen die Nutzung in naher Zukunft. Laut trimondo-Studie wollen 86 Prozent der Unternehmen in Deutschland in diesem und im nächsten Jahr Waren und Dienstleistungen verstärkt über Online-Marktplätze beschaffen. Die Marktplatznutzung nimmt sowohl in der Breite als auch in der Tiefe zu. Allerdings weist der BME darauf hin, dass bislang weniger als zehn Prozent des Beschaffungsvolumens auf elektronischen Marktplätzen abgewickelt werden. Das Potenzial werde nicht ausgeschöpft.
Walter Raizner, Vorsitzender der Geschäftsführung der IBM Deutschland GmbH auf der e_procure 2003: „Beim E-Procurement haben noch die Branchen Chemie, Elektronik und Logistik eine Vorreiterrolle, aber die klassischen Industriesektoren wie Maschinenbau, Autoproduktion und Metallverarbeitung holen rasant auf; sie werden 2004 rund 10 Prozent der Produkte über das Netz handeln.“ Die BME-Studie macht deutlich, dass die chemische Industrie nicht nur Vorreiter bei der Nutzung elektronischer Märkte ist, sondern vielfach auch als Betreiber auftritt. Die Konsolidierung im Markt ist dabei jedoch noch immer nicht abgeschlossen: Die Studie zeigt einen Trend auf, nach dem sich die Unternehmen auf die Nutzung von einen oder zwei Marktplätze beschränken und so die Nutzungseffizienz steigern wollen. Dies führt jedoch mittelfristig zur weiteren Konsolidierung bei den Online-Marktplätzen.
Einigkeit auch in der Frage, warum die Wirtschaft verstärkt in E-Procurement investiert bzw. investieren sollte. Bei 71 Prozent der Unternehmen stellt die Kostensenkung durch das elektronische Beschaffungswesen die Hauptmotivation dar, so die trimondo-Studie. Ebenso viele Firmen wollen dadurch der zentralen Einkaufsabteilung mehr Zeit für strategische Aufgaben verschaffen, was letztlich auch zur Kostendämpfung beitragen soll. Als weitere Gründe wurden die Beschleunigung der Bestellvorgänge, die Erhöhung der Transparenz und die Steigerung der Produktivität der Beschäftigten in den Fachabteilungen durch vereinfachte Prozesse genannt. Bemerkenswert: 86 Prozent der von trimondo befragten Unternehmen gehen davon aus, dass die Beschaffung über Online-Marktplätze nicht nur ihre internen Prozesskosten senkt, sondern auch die Einkaufspreise für die Waren und Dienstleistungen nach unten drückt. Ähnlich die BME-Studie: Für mehr als 85 Prozent der Befragten steht hier die Senkung der Transaktionskosten im Vordergrund.
43 Prozent der von trimondo befragten Einkaufsexperten vertreten die Auffassung, dass der Anteil von E-Procurement an der gesamten Beschaffung von C-Artikeln in der deutschen Wirtschaft heute schon bei über 10 Prozent liegt. 14 Prozent der Befragten sehen ihn sogar bei über 30 Prozent. Bei den 1.000 umsatzstärksten Unternehmen soll der Anteil überdurchschnittlich hoch bei über 20 Prozent liegen, meinen 57 Prozent der Befragten, sogar bei über 30 Prozent, urteilen 29 Prozent der Fachleute. Für das Jahr 2010 prognostizieren 43 Prozent der Einkaufsspezialisten ein Anwachsen des E-Procurement-Anteils auf über 25 Prozent im Durchschnitt aller Firmen und auf mehr als 50 Prozent bei den Top-1000-Unternehmen in Deutschland. Nach der trimondo-Studie liegt der Schwerpunkt liegt dabei bei über 80 Prozent der Firmen auf horizontalen Wirtschaftsgütern, also C-Artikeln wie Büromaterial, Verbrauchsmaterialien und Werkzeugen. 71 Prozent der Unternehmen planen die verstärkte Hinwendung zum Desktop-Purchasing: die Beschäftigten sollen direkt an ihrem Computerarbeitsplatz Bestellungen auslösen bzw. die Vorlage zur Genehmigung an den Vorgesetzten erstellen können.
„Die gegenwärtige Situation in den Unternehmen erfordert von den Einkäufern schnelle und wirkungsvolle Maßnahmen zur Kostensenkung. Der Weg aus der Krise muss einfach sein und zu einem schnellen Return on Investment führen“, so Ulrich Fricke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), auf der Eröffnungspressekonferenz zur e_procure 2003.
Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Unternehmen durch elektronische Beschaffung, Katalogmanagement und die Beteiligung an virtuellen Marktplätzen und elektronischen Ausschreibungsplattformen die Gesamtkosten im Beschaffungsmanagement entscheidend drücken können. Zwar sinken die direkten Beschaffungskosten nur gering, dafür sind Produktivitätssteigerungen zu beobachten und die Prozessdurchlaufzeiten und -kosten können stark optimiert werden. Die Online-Einkaufsabwicklung reduziert die Gesamtbeschaffungskosten für C- und MRO-Güter demnach um bis zu 80 Prozent.
Während die Verbreitung der Nutzerbasis deutliche Fortschritte verzeichnen konnte, birgt die geringe Nutzungstiefe laut BME viel Potenzial für weitere Zuwächse im elektronischen Handel. Vor allem große und mittelständische Unternehmen treiben demnach Entwicklung und Nutzung weiter voran, kleine und mittelständische Unternehmen hinken hinterher.
Generell verschieben sich die Anforderungen an das Supply-Chain-Management (SCM) in Richtung eines ganzheitlichen Managements: Der alleinige Blick auf die Informations- und Güterlogistik greift zu kurz, Kooperationsaspekte gewinnen unter dem Schlagwort Collaborative Procurement an Bedeutung und stellen die Mitarbeitertätigkeit in den Mittelpunkt der IT-Unterstützung. Ein Paradigmenwechsel zeichnet sich ab.
„Internetbasierte Planungs- und Kommunikationstools lösen einen Paradigmawechsel bei der Realisierung dieser Erfolgsfaktoren aus“, so Prof. Dr. Helmut Merkel, Vorstand bei der KarstadtQuelle AG, Essen auf der e_procure 2003. Marktplätze und Logistik-Datenbanken seien zentrale Plattformen, die die neuen Technologien unternehmensübergreifend zur Verfügung stellten. Nur über die Integration von Stammdaten und Prozessen schafften Marktplätze und Logistik-Plattformen einen echten Wert für den Handel, betonte Merkel.
Die BME-Studie zeigt aber auch: Ein Großteil der derzeitigen Nutzer setzt elektronische Märkte erst seit weniger als zwei Jahren ein und befindet sich somit zumeist noch im Explorationsstadium. Die genutzten Dienste fokussieren sich vor allem auf Anbieternachweis (34 Prozent), Katalogmanagement (40 Prozent) und Bestellabwicklung (37 Prozent).
Im Rahmen der BME-Befragung wurde deutlich, dass bestehende Kunden die Nutzung von Online-Marktplätzen gerne deutlich ausweiten würden und dass nach Großunternehmen nun auch Mittelständler die intensive Nutzung starten. Allerdings bekunden Nutzer und Nichtnutzer von elektronischen Marktplätzen einen hohen Grad an Unzufriedenheit mit den angebotenen Diensten und Funktionen. Nur 20 bis 30 Prozent sehen ihre Bedürfnisse als erfüllt an. Eine weitere Verbesserung des bestehenden Serviceangebots kann hier zusätzliche Nutzer erschließen und die Nutzerfreundlichkeit steigern, zusätzliches Potenzial besteht beim Projektmanagement und der Logistikunterstützung. Auch die Kosten insbesondere für die (System-)Integration und die laufende Nutzung stellen laut BME für 20 bis 30 Prozent der Befragten einen Hinderungsgrund für den Handel auf elektronischen Marktplätzen dar.
Worauf legen die Firmen Wert beim Einsatz einer IT-Lösung für E-Procurement, wollte auch trimondo wissen. Für 86 Prozent der Unternehmen steht die einfache Bedienung durch die betroffenen Mitarbeiter im Vordergrund. 76 Prozent legen größten Wert auf maximale Flexibilität bei der Formulierung von Bestellungen. Für 72 Prozent ist es wichtig, dass die Bestellabwicklung im Internet-Browser vorgenommen werden kann, so dass keine zusätzliche Arbeitsplatzsoftware installiert werden muss. Die zentrale Kontrolle durch die Einkaufsabteilung trotz Desktop-Purchasing hat für 57 Prozent der Unternehmen eine hohe Bedeutung. Das wichtigste Beschaffungsverfahren stellt für 43 Prozent der Firmen die einfache Bestellung zum Festpreis dar. Immerhin 29 Prozent der Unternehmen setzen auch Beschaffungsmethoden mit Preisfindung wie Ausschreibungen und Auktionen ein.
Die leichte Einbindung ins SAP-System ist für 43 Prozent der Unternehmen bedeutsam. Für 29 Prozent der Firmen ist es wichtig, dass die Lösung für E-Procurement aktuelle Katalog- und Klassifikationsstandards wie BMEcat 1.2, eCl@ss und UNSPSC unterstützt. Ebenso viele Unternehmen legen Wert auf ein integriertes Content Management zur Pflege von Kataloginhalten.
Bei der Anschaffung einer Lösung für das elektronische Bestellwesen steht bei 86 Prozent der von trimondo befragten Unternehmen der Respekt vor den eigenen Mitarbeitern an erster Stelle. Die Akzeptanz bei den firmeninternen Nutzern stellt das wichtigste Auswahlkriterium dar. Daher stufen auch 57 Prozent der Einkaufsspezialisten ein professionelles Change Management, das die betroffenen Mitarbeiter vorbereitet, als erfolgskritisch bei der Einführung einer E-Procurement-Lösung ein.
58 Prozent der von trimondo kontaktierten Einkaufsspezialisten wünschen sich zudem, dass man mit dem E-Procurement-System nicht nur das Bestellwesen, sondern auch das Zahlungswesen vereinfachen kann. Für 43 Prozent stellt die Akzeptanz bei den Lieferanten ein wichtiges Entscheidungskriterium dar. 28 Prozent wollen die Dienstleistungen der E-Procurement-Lösung an unterschiedlichen Standorten auch im Ausland in Anspruch nehmen.
Insgesamt zeigen die Untersuchungen, dass die bestehenden E-Procurement-Lösungen die Bedürfnisse gerade kleinerer Unternehmen noch nicht zur Gänze abdecken. Hier wird Potenzial verschenkt, denn für die Zielgruppe ist eine Kosten-Nutzen-Analyse häufig nur sehr schwer durchführbar. Auch der Boom der virtuellen Marktplätze und die darauf folgende Konsolidierung haben nicht gerade dazu beigetragen, Vertrauen aufzubauen. Der Trend zur E-Beschaffung verstärkt sich, aber die Anbieter müssen neuen Herausforderungen Rechnung tragen um das vorhandene Potenzial auszuschöpfen.