Interview: Trading Communities im Web
Mit über 3000 aktiven Teilnehmern ist e-lection die mit Abstand größte Wahlbörse zur Nationalratswahl 2002 in Österreich. Als Plattform für börseaffine und politikinteressierte User ist sie ein Paradebeispiel einer Trading Community. Wie jede Community hat diese ihre Besonderheiten. Wer nimmt eigentlich teil an einer der größten „Meinungsbefragungen“ im Internet. Wie verhalten sich Parteisympathisanten?
Wir haben mit Erwin Hof, Mitglied von kenjee technologies, gesprochen…
Um die Community-Thematik ist es im Web in letzter Zeit wieder still geworden. Liegt das am Platzen der „Internet-Bubble“?
Heute sind sich alle einig, dass Community-Plattformen an sich keine Selbstläufer sind. Egal, ob man kommerzielle Ziele als Betreiber mit seiner Community verfolgt oder nicht. Viele haben den finanziellen Aufwand für den Betrieb völlig unterschätzt. Außerdem müssen Interessensgemeinschaften auch im Web ständig gehegt und gepflegt werden. Wer sich um seine Plattform nicht kümmert, hat bereits verloren.
Dennoch sind meiner Meinung nach themenorientierte Communities im Web gefragter denn je. Allerdings unter Berücksichtigung der aktuellen ökonomischen Rahmenbedingungen. Wir von kenjee technologies decken mit e-lection das Thema Börse und Politik perfekt ab.
Was oder wer steckt eigentlich hinter kenjee technologies?
Kenjee ist eine Interessensgemeinschaft von Spezialisten, die stark projektbezogen arbeitet und effiziente Webapplikationen entwickelt. e-lection ist das erste große Projekt und soll als Plattform einer Trading Community zur Nationalratswahl dienen.
Was ist das Besondere an Trading Communities?
Der gemeinsame Nenner ist einfach das Interesse an einer Börsesimulation. kenjee versucht über eine Simulation, Teilnehmer an das Thema Börse heranzuführen. Wahlen sind da genau das Richtige, da vor allem Emotionen im Spiel sind. Es würde aber ebenso mit Fußball, der Oscarverleihung oder der Vorhersage des Wetters funktionieren.
Die Kurse der virtuellen Aktien spiegeln die Erwartungen und Meinungen der Spieler wider. Sie sind sozusagen die Informationsträger.
Welche Menschen nehmen an solchen Simulationen überhaupt teil? Sind das Aktienprofis und Wertpapierhändler?
Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass alle Bevölkerungsschichten mitmachen. Oft sprechen wir damit auch Menschen an, die in erster Linie an Fußball oder Politik interessiert sind. Sie versuchen dann, ihr Wissen über eine „Börse“ spielerisch zum Ausdruck zu bringen. Wer am Ende Recht behält, fühlt sich auch dementsprechend. Das hat natürlich sehr viel mit Selbstbestätigung zu tun.
Zurück zu e-lection. Noch nie waren „Parteisoldaten“ vor allem im Internet so aktiv, Meinungen zu beeinflussen oder für ihre Sache zu werben. Die Anonymisierung im Web lädt ja dazu quasi ein, ohne sich gleich outen zu müssen. Versuchen auch Parteigänger, Funktionäre oder Sympathisanten von Parteien die Kurse der Wahlbörse zu manipulieren?
Ja, absolut und das macht uns auch ein bisschen stolz. Es zeigt, dass unsere Wahlbörse ernst genommen wird. Spaß beiseite: Wir haben eine Reihe von automatisierten Abläufen im Hintergrund laufen. Ab der Anmeldung wissen wir, wer sich wann wo einloggt und was er handelt. Sind bestimmte IP-Adressen bereits vorab auffällig gewesen, sperren wir diese von vornhinein. Wir haben ein komplettes Security Tool programmiert, das Auffälligkeiten sofort anzeigt.
Es kam sogar vor, dass ein Top-Funktionär bei der letzten Wien-Wahl selbst „Hand angelegt“ und versucht hat seine Partei zu pushen. Natürlich sperren wir diese Accounts des „Mitspielers“. Wir haben dann E-Mails von dieser Person erhalten, die sich beschwert hat, dass wir etwas gegen „seine“ Partei hätten. Das Wahlergebnis hat uns gezeigt, dass es wohl eine pure Verzweiflungsaktion war. Das war bisher der skurrilste Fall.
Ist der Verlauf oder das Ergebnis einer Wahlbörse bereits so meinungsbildend, dass Politiker Kurse einer Wahlbörse zum Anlass nehmen, aktiv zu werden?
Das ist schwer zu sagen. Vor einigen Jahren wurden Wahlbörsen noch milde belächelt. Mittlerweile sind sie durch ihre Prognosequalität zu Konkurrenten der doch etwas verstaubt anmutenden Meinungsumfragen geworden. Gepaart mit der immer wichtigeren Rolle des Internet-Wahlkampfes der Parteien sind Wahlbörsen nun zumindest für jene wichtig, die sich im Internet über die Wahl informieren. Für manche mag es daher meinungsbildend sein.
Mit e-lection ist kenjee gleich ein großer Wurf gelungen. Was beabsichtigt ihr nach dem 24.11. zu tun?
Wir wollen werden uns sicher nicht nur auf Wahlbörsen oder virtuelle Märkte beschränken. Das Thema E-Learning steht bei uns generell hoch im Kurs. Daher sind wir für anspruchsvolle Projekte und Ideen jederzeit offen.
Ach ja, eine Frage habe ich noch: Wie werden die Wahlen ausgehen?
Mein Tipp ist auf e-lection.derstandard.at zu sehen.
Danke für das Interview und noch viel Erfolg!
Lesen Sie dazu auch unseren ersten Beitrag zu e-lection: Wahlbörsen als Alternative zu Meinungsumfragen