CRM: Killerapplikation oder nutzloser Hype?
Tom Siebel, Chef des Software-Herstellers Siebel Systems, wird von dpa anlässlich der Siebel European User Week 2003 in Cannes: Nur zu 5 bis 9 Prozent sei weltweit der Bedarf an Software für die Verwaltung von Kundenbeziehungen per Computer, so genannte CRM-Programme (Customer Relation Management), gedeckt. CRM als Killerapplikation? Oder doch nur ein weiterer Hype ohne wirklichen Nutzen? Auch Marktforscher wie die Meta Group, Gardner und Frost & Sullivan bescheinigen CRM hohes Wachstumspotenzial. Siebel Systems will dem Rechnung tragen, indem in Kürze ein Paket bereit steht, mit dem Kunden Siebel-Software in ihre eigene Infrastruktur einpassen können. Durch die Übernahme des Mail-Spezialisten BoldFish erweitert Siebel außerdem die E-Mail-Marketing-Funktion seiner CRM-Software. Die Wettbewerber bis hin zu SAP agieren ähnlich…
Die Siebel-Homepage definiert CRM folgendermaßen:
„CRM is an integrated approach to identifying, acquiring, and retaining customers. By enabling organizations to manage and coordinate customer interactions across multiple channels, departments, lines of business, and geographies, CRM helps organizations maximize the value of every customer interaction and drive superior corporate performance…“
Genau dort zeigen sich jedoch die größten Probleme von CRM-Lösungen, die von den Anbietern natürlich gerne verschwiegen werden: Bisher sind die Systeme oftmals zu wenig auf die eigene Unternehmensstruktur anpassbar. Bei der „Verwaltung von Kundenbeziehungen“ steht dann die Verwaltung im Mittelpunkt, das Besondere der Kundenziehungen kommt zu kurz.
Unbestritten müssen Unternehmen daran interessiert sein, Kundenbeziehungen zu optimieren und die Kundenbindung zu stärken. Nicht umsonst habe ich mich mit diesem Thema in den letzten Jahren ausgiebig beschäftigt. Benötigt werden dazu jedoch ganzheitliche Ansätze. Wer hofft, mit einer Software allein die drängenden Probleme in den Griff zu bekommen, kann viel Geld in den Sand setzen. Das zeigen auch zahlreiche CRM-Projekte der vergangenen Jahre, die weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.
Noch düsterer sieht es beim Thema eCRM aus. Nur wenige Unternehmen nutzen die Chancen der Personalisierung, seltenst werden Angebote auf den Bedarf einzelner Kunden zugeschnitten. E-Mail-Marketing ist längst zum Synonym dafür geworden, die Kunden und Interessenten mit ständig neuen Newslettern zu erschlagen. Und da auch das Texten der Mails Geld kostet, sendet man lieber das gleiche Angebot an 35.000 Empfänger als 35 verschiedende, fokussierte Angebote an durchschnittlich 1.000 Empfänger. An die Vision des 1:1-Marketings, 35.000 persönlich zugeschnittene Angebote zu versenden, glauben heute weder die Versender noch die Empfänger. Mancher reagiert gar allergisch auf scheinbar personalisierte Angebote („Sehr geehrter Herr Stolpmann, speziell für Sie…“ – ja, klar doch…).
Ein Denkfehler dabei: CRM wird als verlängerte Speerspitze des Marketings verstanden. Dabei gehört zur optimalen Kundenbeziehung viel mehr. Vor allem Service und Mehrwert, der auf den tatsächlichen Bedarf des Kunden zugeschnitten ist. So ist in vielen Unternehmen auch Act oder Outlook die erfolgreichste CRM-Software: Mitarbeiter, die damit ihre persönliche „Kundenkartei“ führen. Und noch viel verbreiteter und (weil ständig und überall verfügbar) ein guter Time-Planner in Papierform.
Das Problem: Diese Daten sind i.d.R. nicht zentral verfügbar und zudem reichlich unstrukturiert. CRM-Projekte versuchen häufig, diesem Problem dadurch zu begegnen, dass „von oben“ ein zentrales CRM-System aufgesetzt wird. Die Organisation soll sich dem System und der vorgegebenen Struktur anpassen, nicht umgekehrt. Kein Wunder, dass die Systeme dann auf wenig Akzeptanz stoßen.
Zudem stellt sich die Frage nach der Strukturierung der Daten. Was nicht strukturiert vorliegt, kann auch nur bedingt automatisiert ausgewertet werden. So werden dann Hunderte von Einzeldaten über die Kunden gespeichert – sofern sie überhaupt verfügbar sind. Konsistenz und Gesamtbild der Daten treten zu oft in den Hintergrund. Vor allem aber stellt sich immer wieder die Frage, was der Kunde von CRM hat – und nicht das Unternehmen. Denn letztlich argumentieren die CRM-Anbieter grundsätzlich, dass sich die Investitionen durch die Steigerung der Kundenzufriedenheit rechnen. Diese Rechnung kann aber nur aufgehen, wenn die Kunden auch einen Vorteil durch den CRM-Einsatz verspüren!