Mehr Zeit für das Wesentliche, mehr Lebensqualität
Karina Matejcek: „Optimales Zeitmanagement“ – woran liegt es, dass so viele Menschen Probleme damit haben, sich bzw. ihren Alltag zu organisieren?
Lothar J. Seiwert: Wir leben in einer Zeit, in der niemand mehr „Zeit“ hat. Jeder will alles sofort, am liebsten schon vorgestern. In den USA hat sich sogar ein eigenes Krankheitsbild entwickelt, das von den Ärzten den Namen „Hurry Sickness“, also Hetzkrankheit, erhalten hat. Von allen Seiten werden wir bestürmt, sollen möglichst sofort reagieren und das auf verschiedenen Informationskanälen gleichzeitig.
Von daher verwundert es nicht, dass wir mehr oder weniger gehetzt durchs Berufsleben eilen und versuchen, es allen recht zu machen. In der „guten alten Zeit“, als es noch keine Handys, Faxgeräte, Voice Mails, Mailboxen, SMS-Nachrichten etc. gab, hatten wir es in dieser Hinsicht wirklich einfacher …
Karina Matejcek: Welche Auswirkungen hat das ständige „Multitasking“, die Beschäftigung mit mehreren Dingen gleichzeitig, auf die Qualität der Arbeit, auf den „Output“?
Lothar J. Seiwert: Ein Hauptproblem liegt darin, dass viele versuchen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun – und das geht immer zu Lasten der Arbeits- und Lebensqualität. Wir fühlen uns zunehmend unter Zeitdruck und wissen oft abends nicht mehr, wo uns der Kopf steht. Das muss nicht sein, lässt sich aber lösen durch besseres Zeitmanagement:
- Planen Sie Ihre Zeit schriftlich.
- Überschätzen Sie Ihre Zeit nicht.
- Setzen Sie Prioritäten.
- Berücksichtigen Sie Ihre persönliche Leistungskurve.
- Machen Sie genügend Pausen.
- Schirmen Sie sich täglich für eine „Stille Stunde“ ab.
- Delegieren Sie Aufgaben, die auch andere erledigen können.
Karina Matejcek: Viele Menschen meinen, sie könnten nur unter Zeitdruck arbeiten und zu guten Ergebnissen kommen. Was halten Sie von dieser „Strategie“?
Lothar J. Seiwert: Das ist keine „Strategie“, sondern nur eine „self fulfilling prophecy“, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn ich die Einstellung oder den Glaubenssatz habe, dass ich erst dann am produktivsten bin, wenn ich ordentlich unter Druck stehe, und mir auch noch einrede, vieles würde erst „auf die letzte Minute“ fertig, und mich dementsprechend verhalte, bekomme ich genau diese Ergebnisse und Stress-Erlebnisse. Auf diese Weise bestätige ich wiederum diese Glaubenssätze und komme aus diesem Teufelskreis nicht mehr heraus, solange ich nicht meine Einstellung entsprechend ändere.
Karina Matejcek: In letzter Zeit liest und hört man immer wieder, jemand nähme sich eine „Auszeit“. Warum ist dieser Begriff momentan so „in“?
Lothar J. Seiwert: Eine Auszeit, sei es ein kurzer „persönlicher“ Boxenstopp oder ein längeres „Sabbatical“, ein Langzeiturlaub, ist in den letzten Jahren immer mehr in Mode gekommen. Und ich möchte dies ausdrücklich befürworten, weil es körperlich, seelisch und geistig/mental sehr wichtig ist, seine Batterien nicht nur kurzfristig aufzuladen, sondern auch einer gründlicheren Wartung zu unterziehen. Was in der Formel 1 bei den Rennmotoren so perfekt funktioniert, sollten wir auch unserem biologischen Motor regelmäßig zugute kommen lassen.
Karina Matejcek: Mehr Zeit für das „Wesentliche“ aufzubringen ist eines der Ziele optimalen Zeitmanagements. Wie findet man heraus, was dieses „Wesentliche“ für einen selbst ist?
Lothar J. Seiwert: Neben dem kurzfristigen Setzen von Tagesprioritäten – hier wird oft das Dringende mit dem Wichtigen verwechselt – empfehle ich, sich einmal grundlegend Gedanken über seine persönliche Lebenszukunft und die wirklich wichtigen Dinge seines Lebens zu machen und eine entsprechende persönliche Lebensvision – Lebensziel, Mission Statement – zu Papier zu bringen. Eine sehr effektive, aber auch gefühlsmäßig zuerst erschreckende Übung besteht übrigens darin, seine persönliche Grabrede zu Papier zu bringen. – Wie aber finden Sie zu einer ausgewogenen Life-Balance?
- Formulieren Sie Ihre persönliche Lebensvision. Ein persönliches Leitbild (Mission Statement) oder Lebensziel hilft Ihnen, Sinn und Richtung Ihres Lebens näher festzulegen.
- Beachten Sie: Weniger ist meistens mehr. Die wirklichen Zeitprobleme im Leben entstehen, wenn wir zu viele Rollen gleichzeitig ausfüllen wollen. Wer sich zuviel vornimmt und alles verplant, bleibt unflexibel und stresst sich ebenso wie andere.
- Sorgen Sie für eine ausgewogene Zeit- und Lebens-Balance. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der qualitativen Zeit-Balance zwischen allen beruflichen und persönlichen Lebensbereichen wie Leistung/Beruf, Familie/Privates, Gesundheit und der Frage nach dem Sinn.
- Planen Sie Zeit für Ihre Lebensprioritäten. Planen Sie pro-aktiv regelmäßig persönliche Zeitfenster oder Termine mit sich selbst ein – auch gegen die Widerstände anderer –, an denen Sie sich um Ihre Prioritäten zur Erreichung eigener Ziele kümmern.
- Konzentrieren Sie sich immer auf das Wesentliche. Nur die konsequente Konzentration auf das Wesentliche bei den beruflichen wie privaten Lebensrollen garantiert Erfüllung, Ausgewogenheit und Lebenserfolg.
- Entfliehen Sie der Dringlichkeits-Falle. Bei dringenden Dingen re-agieren wir nur, bei wichtigen Dingen hingegen agieren wir. Unterwerfen Sie sich nicht dem täglichen Diktat der Dringlichkeit, sondern fokussieren Sie sich auf die Wichtigkeit eigener Ziele.
- Gehen Sie mit Ihrer Lebenszeit bewusst und souverän um. Leben in Balance oder Life-Leadership bedeutet bewusster, eigenverantwortlicher und gleichgewichtiger Umgang mit dem kostbaren, knappen Gut „Zeit“: Heute beginnt der erste Tag vom Rest Ihres Lebens, den Sie mit einem neuen Zeitbewusstsein beginnen können!
Karina Matejcek: Vielen Dank für diese interessanten Ausführungen – und die vielen Tipps!
Mehr über Lothar J. Seiwert, seine Arbeit und seine Bücher finden Sie im Internet auf www.seiwert.de und www.bumerang-prinzip.de.
Das Interview erschien erstmalig am 25. 03. 2004 im eNewsletter des ÖPWZ.