Einkaufen im Web: Paradies oder Hölle?
Es ist so schön bequem: Ich kann 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche alles im Web einkaufen, was mein Herz begehrt. Und mit Notebook sogar vom Motelbett auf der Dienstreise in den USA eine Original-Sachertorte aus Wien zur Lieferung an den Chef daheim. Zumindest ist das die schöne Theorie. Und manchmal funktioniert sie sogar. Aber oft ist es eben nicht die Original-Sachertorte, sondern irgendetwas Hundsgewöhnliches, das es auch im Geschäft nebenan gibt. Leider haben die gerade zu. Oder müssen die Ware erst bestellen. Oder ich bin zu faul. Oder möchte ein Schnäppchen machen … Und da fangen die Probleme an. Versuchen Sie mal, einen Direktflug von Frankfurt nach San Francisco zu einem günstigen Preis online zu buchen. Anschließend wissen Sie die Leistungen Ihres Reisebüros zu schätzen: Entweder finden Sie Hunderte von Angeboten (die meisten alles andere als direkt) und müssen dann – Seiten später – feststellen, dass gerade der von Ihnen gewünschte Flug bereits ausgebucht ist. Oder Sie finden gar nichts Passendes. Und um einen günstigen Preis zu finden, gehen Sie nicht nur zu einem Online-Anbieter, sondern wiederholen die Prozedur bei drei, fünf oder gar zehn verschiedenen. Oder Sie wollen Lebensmittel online einkaufen. Haben Sie sich schon mal durch eine Liste aller Joghurtsorten geklickt, alphabetisch sortiert nach Herstellern?
Natürlich – Sie können auch Glück haben. Und das hatte ich häufiger! Online-Buchhandel beispielsweise: riesige Auswahl, schnelle Lieferung, … Ähm, schnelle Lieferung – bei Amazon.de sind immer mehr Bücher nicht mehr binnen 24 Stunden lieferbar, sondern erst binnen 2 bis 3 Werktagen. Da ist dann der Buchhändler um die Ecke schneller, Anruf genügt. Über Beratung online will ich gar nicht sprechen … Und dass es fast unmöglich ist, in endlicher Zeit ein Kfz-Ladekabel für ein bestimmtes Asus-Notebook online zu finden, bemängele ich gar nicht. Zum Glück reagieren manche Anbieter auf E-Mail-Anfragen!
Doch pardon … Zu oft gleicht das Einkaufen im Web einem Hindernisrennen. Zunächst wird Eintritt verlangt – je länger ich im Laden bin, umso teurer. Jedoch sieht der Ladenbesitzer nichts davon … Infrastrukturkosten! Meinen Einkaufswagen muss ich selbst mitbringen, er darf höchstens 38,5 cm breit sein und muss Moosgummirollen haben (aka Internet Explorer 6.0 mit Flash Plugin), sonst komme ich nicht durch die Gänge. Jemand hat alle Waren in identische graue Schachteln gepackt und nach einem mir unbekannten System in Regale gestellt. Na gut. Nach einiger Zeit, die ich mit dem Entziffern der Aufschriften und der Suche nach dem richtigen Regal zugebracht habe, darf ich … nein, nicht das Produkt in der Schachtel begutachten, sondern detailliertere Produktbeschreibungen lesen. Aber wehe, ich öffne zwei Schachteln gleichzeitig, um den Inhalt zu vergleichen – das ist strengstens verboten! Habe ich das Gewünschte gefunden, darf ich einen Zettel zur Kasse tragen. Produkte gibt es hier gar nicht. Jetzt geht es an die Bezahlung, d. h. ich darf mich erst einmal vorstellen. Klar, Bargeld ist auch nicht gefragt, am besten hätte ich vorab mein Geld überwiesen. Dafür werden mir jetzt die Lieferkosten mitgeteilt. Und ich darf die Einkäufe schon in ein paar Wochen zuhause erwarten – es sei denn, ich habe zu wenig eingekauft, denn da war noch das Kleingedruckte am Eingang mit der Mindestkaufsumme. Vielleicht kommt sogar an, was ich haben wollte? Reklamieren will ich hier lieber nicht müssen!
Was lernen wir daraus? Einkaufen im Web kann so schön sein. Doch oft komme ich im Laden vor Ort schneller an das Gewünschte. Wenn die Bequemlichkeit fehlt und auch sonst Service und Mehrwert fehlen, Beratung Mangelware ist und individuelle Kundenanfragen nur stören, dann braucht sich niemand zu wundern, wenn die Online-Kunden ausbleiben oder bei nächster Gelegenheit untreu werden und sich der Konkurrenz zuwenden. Durch Kreativität, Kundenorientierung und Individualität zeichnen sind jedoch nur die wenigsten Online-Shops aus. Leider – viele davon könnten mich als Stammkunden gewinnen!