Online-Publishing in der Krise? (Teil 2)
Teil 2: Das Missverständnis von der „baren Münze“
Im Mittelpunkt des zweiten Teils unserer kleinen Serie zum Thema Online-Publishing steht die Frage nach Gegenwert und gegenseitigem Vertrauen…
Wir bleiben bei unserer Aussage, dass es die Probleme bei Anbietern gibt, die kommerzielle Interessen haben und/oder sich nicht selbst ausbeuten wollen *g*
Immer mehr Newsletter-Anbieter begegnen der (Sinn-)Krise, von der im ersten Teil die Rede war, damit, dass sie versuchen, ihre Abonnenten für Bezahlmodelle zu gewinnen. Andere Online-Angebote führen Premium-Content und Premium-Dienste ein, die aber weder neu sind noch je „Premium“ waren.
Martin Röll schreibt sogar einen offenen Brief, weil er sich von einem Online-Anbieter getäuscht fühlt. Eines ist sicher: Die meisten Anbieter werden mit dem Ansinnen scheitern, den Nutzern für etwas Geld aus der Tasche zu ziehen, was sie bisher gratis angeboten haben.
Auch wenn sie aus der Situation der Produzenten heraus nachvollziehbar scheint, ist die Tendenz, bislang kostenlose Angebote nun plötzlich kostenpflichtig zu machen, keine geeignete Strategie, um zu einer Gegenleistung in Form von Abo- und Nutzungsgebühren zu kommen.
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!
Am Anfang war es zunächst ein leises Anklopfen und die Bitte um Spenden und die Einladung an Sponsoren. Das hat nichts gebracht. Und so packt man jetzt den Holzhammer aus: Immer häufiger wird in Newsletter-Editorials verkündet, man werde das Angebot einstellen, wenn sich nicht bis dann und dann so und so viele Abonnenten des bislang kostenlosen Newsletters fänden, die bereit wären, 50 oder 80 oder mehr Euro im Jahr zu bezahlen. Und andere Content-Anbieter verkünden, dass sie bestimmte Angebote einschränken oder seltener Aktualisierungen vornehmen werden, wenn nicht…
Das alles wird in den wenigsten Fällen zielführend sein und zwar aus mehreren Gründen. Konzentrieren wir uns einen Moment auf die Newsletter-Anbieter, denn da ist das Problem am augenfälligsten:
Es handelt sich in gewisser Weise um einen Vertragsbruch durch den Anbieter. Der Newsletter-Abonnent wird vor die Tatsache gestellt, dass das, was er bislang als Gegenleistung für den Erhalt des Newsletters gab, nichts wert war, nämlich a) seine Mailadresse und b) seine Aufmerksamkeit.
Doch der Deal lautete: Du gibst mir deine Adresse und deine Aufmerksamkeit, ich gebe dir meinen Content. Das Geschäftsmodell dahinter: Je mehr Adressen, desto mehr Möglichkeiten, Interessenten zu gewinnen, Kunden zu generieren, Anzeigen im Newsletter zu platzieren und – wenn möglich – vielleicht eigene Produkte und Dienstleistungen über den Newsletter zu vermarkten.
Nun wird von manchen verkündet, man könne den Gratis-Betrieb nicht weiter aufrechterhalten, aber die Leser müssten doch daran interessiert sein, dass das hoch qualitative Angebot weiter produziert werde.
Nun, die Leser werden in den wenigsten Fällen daran interessiert sein – und zwar schon aus wirtschaftlichen Gründen. Allein uns flatterten in den letzten Wochen mehrere solcher „Vertragsänderungen“ in die Mailbox, die bei Annahme unsererseits Abogebühren von mehr als 250 Euro im Jahr bedeuten würden. Und immer ist ein klares „Nein“ die Folge – schon allein, dass uns diese Entscheidung aufgedrängt wird, halten wir für eine Zumutung.
Aufmerksamkeit als Währung?
Wir haben nämlich schon bezahlt. Mit unseren Mailadresse, mit unserer Aufmerksamkeit, mit Weiterempfehlungen, mit Buchkäufen über Partnerprogramme, mit Erwähnungen in Linklisten, mit Erwähnungen in Seminaren…
Ja, die Nutzer zahlen mit Aufmerksamkeit, mit Daten, mit Weiterempfehlungen und anderem mehr. Das gilt nicht nur für Newsletter, sondern auch für andere Internet-Angebote. Und genauso einfach ist es für die Nutzer, diese Aufmerksamkeit auch wieder zu entziehen. Der Newsletter-Anbieter merkt das vielleicht an Klickraten und Abmeldezahlen. Der Online-Anbieter sieht es in seinen Zugriffszahlen.
Dabei sind wir überhaupt nicht gegen Bezahlung von Content mit barer Münze. Karina zahlt zum Beispiel Jahresgebühren bei Akademie.de, bei Projektmagazin.de und bei einigen US-Content-Providern, die echte und zielgruppenorientierte Premium-Inhalte bieten. Das Geschäftsmodell ist okay, man weiß vorher, was einen erwartet. Nichts wurde einem hier vorab als kostenlos angedient, um einen damit „anzufixen“ und dann den Vertrag zu ändern. Nein, wir haben bei vollem Bewusstsein über die Konsequenzen langfristige Abo-Verträge abgeschlossen. Geld gegen Leistung.
Was wäre nun die konsequentere Strategie der vielen Newsletter-Betreiber und Content-Anbieter, die ihre Arbeit nicht mehr gratis tun wollen? (Wobei sich schon die Frage stellt: Mit welcher Intention wurden die Newsletter eingeführt und warum ging die Rechnung nicht auf?)
Nun, ein kostenloses Informationsangebot oder einen kostenlosen Newsletter kostenpflichtig zu machen, wird nur in den wenigsten Fällen gelingen. Die wenigsten Anbieter liefern dermaßen originären Content, dass man nicht sofort auf frei erhältliche Angebote umsteigen könnte – oder eben einfach verzichtet.
Wenn nach einer ehrlichen Befragung seiner selbst über den Wert dessen, was man anzubieten hat, herauskommt: Es ist wert, es anzubieten – so kann man nun daran gehen, kostenpflichtige Produkte zu entwickeln, die man dann über den vorhandenen Newsletter vermarktet.
Wie das unzählige US-amerikanische Berater und Autoren aus vielen Branchen ständig tun. Da gibt es Follow-up-Autoresponder mit Marketing-Aktionen, die über Monate hinweg ständig neue E-Books und Online-Seminare anbieten. Mit Kreativität und langfristigen Strategien werden die Inhaber der wertvollen E-Mail-Adressen mit Bonus-Angeboten und Packages „geködert“ – und nie liest man auch nur einen Ton des Jammerns…
Im Gegenteil, man wird umschwärmt, hofiert, persönlich angesprochen und zielgruppengerecht mit einer ineinander greifenden Kette von Angeboten „gelockt“. Und dann funktioniert auch noch der Ablauf Online-Bezahlung – Bestätigungsmails – Ausstellung von Online-Rechnungen – Download und Support exzellent. Und in den Online-Angeboten ist es das Gleiche: Oftmals sind redaktionelle und werbende Angebote so verwoben, dass es schwer fällt, nicht Ja zu sagen.
In unseren Breiten wäre uns so etwas noch nie aufgefallen: Wo sind die langfristig wirksamen Permission-Marketing-Konzepte, die sinnvollen E-Mail-Kampagnen und Follow-up-Autoresponder zu Marketingzwecken? – Wir freuen uns über Hinweise, denn wir sind ständig auf der Suche nach guten Case Studys.
„There is no need for advertisements to look like advertisements. If you make them look like editorial pages, you will attract about 50 percent more readers.“
(David Ogilvy, 1911-1999)
Wir raten Newsletter-Betreibern, die sich überlegen, ihre Newsletter künftig nur noch gegen Gebühr zu versenden – bzw. ihre Leser mit einem Ultimatum zu konfrontieren -, sich sehr gut zu überlegen, ob sie das langfristig aufgebaute Vertrauen der Abonnenten wirklich mit einem unbedachten Schlag zerstören wollen.
Oder ob sie nicht doch lieber Bezahlprodukte entwickeln möchten, die sie über ihren Newsletter anbieten. Und aus dem Newsletter das machen, was er in den meisten Fällen von Beginn an war: ein Marketing-Instrument. Und endlich die Möglichkeiten nutzen, die E-Mail hier bietet, denn diese sind bislang nicht einmal ansatzweise im Sinne von Kundenbindung und Service ausgeschöpft.
Das gilt analog auch für andere Online-Anbieter, die ihr bisheriges Kostenlos-Modell über Bord werfen wollen: Lernen Sie zunächst den Wert dessen zu schätzen, was Sie bereits von Ihren Besuchern bekommen. Und dann fragen Sie sich, wie wirklich wertvolle Zusatzangebote oder auch neue Geschäftsmodelle und Verwertungsketten aussehen könnten.
Der Versuch, die klassischen Publishing-Modelle 1:1 ins Online-Business zu übertragen, wird vielfach scheitern. Mehr dazu in den kommenden Folgen dieser Reihe…
In Kürze in der dritten Folge: Die Krux mit den Bezahlmodellen