Google übernimmt Pyra: Beobachtungen und Gedanken zum Weblog-Deal
Heute ging es plötzlich rund: „Hast du schon gehört? Google kauft Blogger!“ Im ersten Moment war ich geneigt zurückzufragen: „Welchen?“ Aber natürlich geht es um Pyra, das Unternehmen hinter Blogger.com. Und der Deal wird von einigen kommentiert, als würde es lauten „Pyra übernimmt Google“. Aber so ist es natürlich nicht. Was steckt also vermutlich hinter dieser Übernahme, die Google bisher noch nicht einmal eine Pressemitteilung wert ist? Was ist also bisher bekannt? Dan Gilllmore hat für die San Jose Mercury News eine Kolumne geschrieben, die er mit „Google Buys Pyra: Blogging Goes Big-Time“ betitelt hat. Und er hat den Text vorab auf weblog.siliconvalley.com veröffentlicht. Dan liefert ein paar Statements von Evan Williams, dem Boss von Pyra Labs, und von David Krane, dem Corporate Communications Director bei Google. Faktisch steht nicht viel über den Deal bei Dan, aber er stellt die (berechtigte) Frage, was dieser Vorgang bedeuten könnte. Und die Blogosphere hat ein Thema, über das sich trefflich spekulieren lässt…
Zunächst fällt auf, dass viele Kommentatoren Blogger.com mit Prya Labs gleichsetzen. In den Reaktionen auf diese Nachricht ist immer wieder davon die Rede, dass die breite Userbasis von über einer Million registrierter Nutzer Blogger.com zu einem dicken Fisch macht. Und es wird spekuliert darüber, dass Blogger.com-Weblogs zukünftig bei Google-Suchen bevorzugt werden könnte, dass Google sich hier Content einkauft, wie man es vor einiger Zeit mit Deja gemacht hat, als man deren Archive integrierte und die Newsgroups bis zurück in die Anfänge über Google erschließbar machte.
Generell hat Pyra viererlei zu bieten:
- eine breite registrierte Userbasis mit einem geringen Anteil von zahlenden Mitglieder
- den Content der (zumeist privaten) Weblogs
- eine funktionierende ASP-Technik, die sich millionenfach bewährt hat
- das Know-how der Mitarbeiter bei der Umsetzung von „Smart Publishing“-Lösungen (um den Begriff „Weblogs“ zu vermeiden)
Doch sind eine Million registrierter User bei einem weitgehend kostenlosen Serviceanbieter wirklich so spannend? Und ist der Content der Weblogs so spannend, dass er der Grund für den Deal sein könnte? Wohl kaum.
Auch wenn es einigen jetzt wieder Schmerzen bereiten wird: Es geht mal wieder um Wertschöpfung und Erträge. Ein Blick auf beeindruckenden Zahlen von Blogger.com: In Dans Artikel wird Evan Williams damit zitiert, dass Blogger.com etwa 1,1 Mio. registrierter User habe, von denen etwa 200.000 (also 18,2 %) aktiv Weblogs betreiben. Nehmen wir mal einen Augenblick an, dass davon wiederum 5 % zu den Blogger Pro Usern zählen, also $35 pro Jahr zahlen. Dann würde das $350.000 an Einnahmen bedeuten.
(Und diese Rechnung geht davon aus, dass es sich um 200.000 aktive Blogger handelt und nicht um 200.000 aktive Weblogs. Bei Blogger.com kann man nämlich unter einer User-Kennung mehrere Weblogs führen. Und das macht auch fast jeder – zumindest eines zum Testen und eines also Produktivumgebung. Dann aber wären des in der obigen Rechnung also nur $175.000 an Einnahmen – oder gar noch weniger … die tatsächlichen Zahlen werden also eher schlechter aussehen als oben angenommen. Sei’s drum…).
Bei Prya gab es sechs Leute, inklusive Chef. Macht in unserer Rechnung mit $350.000 Einnahmen $58.333 Umsatz pro Kopf und Jahr. Von diesen Einnahmen müssen aber nicht nur die Personalkosten, sondern auch die Technik bezahlt werden. Pyra Labs hat zwar immer wieder versucht, weitere Einnahmequellen zu erschließen, aber sehr erfolgreich war man dabei nicht, ob mit neuen Domains, Werbefreiheit für die Standardblogs oder das Kleinanzeigensystem PyRads. Und die Werbeeinnahmen durch Zwangsbanner kann man umgehen, wenn man sein Blogger-Weblog per FTP auf den eigenen Webspace überträgt – dann aber braucht man auch die zusätzlichen Hosting-Angebote und ähnliches mehr nicht.
Faktisch blieben auf blogspot.com nur die weniger spannenden Weblogs übrig. Die anderen nutzten den eigenen Webspace in Kombination mit der Blogger.com-ASP-Lösung … oftmals die Gratis-Variante. Für Pyra entgangene Werbeeinnahmen. Und die Zahl von 200.000 aktiven Weblogs (von denen man ja nicht weiß, wo sie liegen) in Relation zu 1.100.000 registrierten Usern zeigt auch, dass viele ihre Weblogs haben einschlafen lassen. Oder sie sind gewechselt zu anderen Systemen, die mehr Features bieten – wie Movable Type, pMachine, Sunlog, Nucleus oder b2.
Hinzu kamen immer wieder technische Probleme, die den Blogger.com-Server betrafen. Im Grunde wären hier neue Investitionen notwendig. Aber woher soll das Geld dafür kommen? Insgesamt kann Pyra Labs froh sein, wenn man mit einer schwarzen Null bei diesem Massen-Hosting abschließt.
Das Geschäftsmodell von Pyra Labs war also vermutlich nicht sehr ertragreich; von Pro-Usern wurde mir auch berichtet, dass z.B. Zusatzkosten für mehr verbrauchten Speicherplatz für Content (die es bei Pro prinzipiell gibt) nicht immer erhoben wurden. Vermutlich war die Verwaltung im Vergleich zum Ertrag zu aufwändig oder das Controlling nicht ausgereift. Und die Entwicklung neuer Einnahmequellen stockte.
Von daher kann man davon ausgehen, dass Pyra Labs für Google vermutlich ein Schnäppchen war. Zumal die Mitarbeiter wohl von Google übernommen werden.
Google aber bringt eine Menge Dinge mit, die für den Blogger-Service Vorteile bringen könnten. Zunächst hat man bei Google eine Menge Erfahrung im Load-Balancing und reichlich Server-Kapazitäten. Das könnte mehr Zuverlässigkeit bedeuten.
Dann bringt Google ein funktionierendes Verwaltungs- und Abrechnungssystem mit, das zum Beispiel bei den Google AdWords verwendet wird. Davon kann das Blogger-pyRads-Werbesystem bisher nur träumen.
Als die Nachricht bekannt wurde, haben viele gleich die Befürchtung geäußert, zukünftig könnte Google die Inhalte der Blogger.com-Weblogs bei der Google-Suche bevorzugen und diese häufiger indizieren. Nette Idee. Schließlich stehen die Server demnächst nebeneinander. Aber ist das sinnvoll für Google?
Wohl kaum: Die meisten Inhalte der meisten Weblogs sind nicht wirklich spannend. Im Gegenteil hat man ja schon mehrfach gezeigt, dass das Google-Ranking sich von Weblogs in Grenzen manipulieren lässt und Weblogs schon so tendenziell bevorzugt werden.
Eher schon wäre es umgekehrt praktisch für Blogger.com, von der Google Suchtechnologie zu profitieren – denn für die Pro-Version, deren Entwicklung immer wieder stockt, ist seit langem eine Suche innerhalb der Weblogs angekündigt: „Blog Search Access. Pro users will be able to use the new Blogger Search function, currently unavailable to other users. This search is the only blog search on the web that indexes on the individual post level, and it is current up to the half hour, providing unique research and ego-search opportunities.“
Was allerdings auch möglich ware: Man könnte Blogger-Usern einen leichteren Zugang zu den Suchergebnissen der einzelnen Google-Dienste erleichtern – einfach indem man geeignete Templates anbietet. Blogger könnten Headlines der Google-News oder des Ergebnisse neuen Einkaufsführers in ihre Seiten einbauen. Die Technologien stehen bei Google alle zur Verfügung, nur werden sie selten genutzt, weil sie aufwändig zu realisieren sind.
All das würde dazu führen, dass Google mehr Traffic zugeführt wird und man die eigene Position als Suchmaschine für alle Zwecke stärken würde. Langfristig würde das Google zudem mehr Zugriffe bescheren und damit auch mehr Werbeeinnahmen. Auch wenn die Effekte nicht wirklich einen Erdrutsch bedeuten würden, so sind es doch nette Synergien.
Blogger.com kann zweifellos für sich beanspruchen, dass es eine robuste, millionenfach bewährte ASP-Technologie entwickelt hat, die das rasche Einrichten und Führen einer „Smart Publishing“-Lösung (aka Weblog) erlaubt.
Könnte Google also an der Technik interessiert sein? Google als zukünftiger Anbieter von Weblog-Hosting für die Massen unter eigenem Label? Auch unwahrscheinlich. Schließlich zeigen schon die ersten Reaktionen, dass man hier eine „unheilige Allianz“ befürchtet, man würde also dem Ansehen von Google eher schaden. Vermutlich wird man Blogger.com daher einfach so weiterlaufen lassen, wie es ist – unter Ausnutzung einiger der oben genannten Synergien.
Pyra Labs beschäftigt sich seit 1999 mit Weblogs und Hosting. Das dabei aufgebaute Know-how ist enorm. Das zeigt sich auch bei den Features, die für Blogger Pro umgesetzt wurden bzw. die geplant sind. Dabei ging es immer um Einfachheit. Evan Williams und seine Mitarbeiter wissen sehr genau um die Stärken und Schwächen von Weblogs für das von mir so genannte „Smart Publishing“. Und genau hier könnte der eigentliche Grund für den Deal liegen!
Mit dem Deal sichert sich Google nämlich dieses Know-how. Damit könnte man auch das Google-Ranking, das in den vergangenen Monaten immer wieder in die Kritik geraten ist, optimieren, um Weblogs anders zu gewichten. Googles Suche ist seitenbasiert – die Weblogs aber sind jedoch eintragsbasiert: Auf den meisten Weblog-Seiten befinden sich mehrere Einträge. Das verfälscht die Suchergebnisse zum Teil erheblich.
Aber Google könnte noch viel direkter von dem Know-how profitieren, das Pyra aufgebaut hat. Beide Unternehmen werden in den Kommentaren nämlich stark reduziert auf das, was öffentlich besonders präsent ist. Bei Google die Suchmaschine, bei Pyra die Blogger.com-Weblogs. Doch in Wirklichkeit ist das Geschäftsmodell von Google sehr differenziert. Und dazu gehört seit Jahren neben den Werbeeinnahmen (und das ist gleichbedeutend mit dem Geschäft mit der öffentlichen Suche) auch das kommerzielle Angebot von speziell abgestimmten Suchdiensten.
Seit Jahren bietet Google für Unternehmen unter anderem die Google Search Appliance. Ein Such-Server für das Intranet, der hinter der Firewall steht und Unternehmen dabei hilft, ihre Inhalte für die Mitarbeiter zu erschließen. Nun stelle man sich vor, dass man diesen scherzhaft „Google in a box“ genannten Server um eine angepasste, lokale Blogger-Server-Installation ergänzt.
Dieser Such- und Content-Server wäre eine eierlegende Wollmilchsau: Die Unternehmen könnten nicht nur die bisherigen Inhalte im Intranet durchsuchen, sondern auch interne Weblogs einrichten, die für jedermann im Intranet automatisch indexiert werden. Man würde verschiedene Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das Unternehmen muss kein externes Hosting nutzen, alles bleibt „secure“ hinter der Firewall und trotzdem kann man von den Vorteilen des Smart Publishings sofort profitieren. Zugleich setzt man auf eine robuste Technik und ein Userinterface/Handling, das sich bei Millionen Nutzern bewährt hat – also auch für Mitarbeiter nutzbar ist, die keinerlei Erfahrung im Online-Publishing mitbringen. Damit wäre das größte Problem der Weblogs passe: die verstaubenden Archive und die rudimentäre Suche. Alles würde unter einer Oberfläche recherchierbar – ob Weblog-Inhalte oder andere Inhalte im Intranet. DAS wäre eine neue Vision für das Knowledge Management in Unternehmen und würde k-logs zur Realität werden lassen.
Die Google Search Appliance kostet viel Geld. Auch wenn Google nur auf Anfrage Zahlen nennt, so bewegen sich die Kosten je nach Leistungsumfang derzeit bei mehreren Zehntausend oder gar mehreren Hunderttausend Dollar pro Installation. Da lohnt es sich schon, über „Mehrwert“ nachzudenken. Und Pyra Labs könnte das Know-how für diesen Mehrwert haben.
Hier also können die eigentlichen Gründe für den Deal liegen. Das würde zweifellos bedeuten, dass Google dem Smart Publishing in Unternehmen zukünftig eine steigende Bedeutung beimisst. Und mit dem Pyra Labs Team hätte man auf einen Schlag das Know-how und die Technik bekommen.
Aber vielleicht war ja alles ganz anders und der Deal ist zwischen Google CEO Dr. Eric Schmidt (ES) und Pyra Labs Gründer Evan Williams (EW) beim Business Lunch im Hobee’s in Sunnyvale entstanden. Dann stelle ich mir das so vor:
EW: Ich wünschte, wir würden mit Blogger mehr Geld machen. dann müsste ich mich auch nicht von dir zum Essen einladen lassen. Na, ihr bei Google habt da ja keine Probleme.
ES: Geht es euch wirklich so schlecht? Ihr habt doch viel Erfahrung – und zudem locker ne Million Blogger.
EW: Eins-Komma-Eins-Millionen … aber die zahlen fast alle nicht.
ES: Hmm. Schon mal überlegt, das ganze Zeug zu verkaufen?
EW: Klar. Aber bei der Branchensituation, mit technischen Problemen und der Notwendigkeit, erst mal Investitionen zu tätigen? Da bräuchten wir schon jemanden mit der Technik und einem Serverpark. Wie euch.
ES: Was sollen wir mit blogger.com?
EW: Was soll ich mit blogger.com? Und du hast das Geld für Investitionen.
ES: Wahrlich. Keine Ahnung, wo wir das hinstecken. Nur Suche ist ein wenig einseitig.
EW: Sag mal, wie funktioniert das mit der Abrechnung der Google AdWords eigentlich praktisch? Bei uns ist die Abrechnung von Kleinbeträgen ein Horror. da bleibt fast nichts übrig. pyRads tut ja auch nicht, wie ich es erhofft habe…
ES: Betriebsgeheimnis. Aber ich sehe … du brauchst uns eher als wir dich!
EW: Ey – das war unter der Gürtellinie!
ES: Okay, hast recht. Aber faktisch könnten wir für blogger.com kaum mehr zahlen als die Domain wert ist. Vielleicht könnten wir ja von eurem Know-how profitieren?
EW: Meinst du, es gäbe da eine Chance?
ES: Na, ein Schnäppchen würde ich im Board vielleicht schon vertreten können.
EW: Na ja, wir sind ja eh nur zu sechst, vielleicht stellt Google uns ja sogar ein? Lass uns doch mal drüber nachdenken! Aber heute zahlst du das Lunch…
ES: Aber erst nach dem Blueberry Coffeecake. Da kommt er schon…
Wie gesagt: Ein fiktives Gespräch. Aber der Coffeecake ist Klasse!
Für AOL, Microsoft und andere jedenfalls erhöht der Deal zunächst einmal den Druck, da sie nicht mehr hoffen können, dass Blogger.com am eigenen Erfolg erstickt. Viele Hoster mit solch umfangreicher Erfahrung wie Pyra Labs sind nicht verfügbar. Und der Fokus von UserLand, von Mena G. und Ben Trott (Movable Type) oder Rick Ellis (pMachine) ist ein anderer. Aber das ist eine andere Story…