Blogs in den Medien: Lust und Frust im Blogger-Land
Oder: Was Weblogs und Linux verbindet
Weblogs sind derzeit ein absolutes Modethema. Kaum ein etabliertes Medium, das nicht über Weblogs, Diaries, Blogger und Bebloggte berichtet. Und über Weblogs lässt sich so wunderbar streiten! Nicht nur Befürworter und Gegner stehen sich gegenüber, sondern auch quer durch die Bloggerszene verlaufen tiefe Gräben. Irgendwie erinnert das alles an die Anfänge von Linux…
Zur Erinnerung: Linux startete 1991 als ein privates Projekt von Linus Torvalds. Damals ging es nicht um die große Revolution, sondern darum, dass man sich als Student keine Unix-Workstation leisten konnte. Und Linus wollte einfach eine Alternative zu den Computerarbeitsplätzen an der Uni. So begann er zu basteln und hatte irgendwann einen Betriebssystemkern geschaffen, der zwar für sich genommen noch nicht allzu nützlich war und der auch nicht auf allen PCs lief – aber der Anfang war geschaffen. Über das Internet stellte er seine Arbeiten am 25. August 1991 in der Minix-Newsgroup zum ersten Mal anderen Interessierten vor … und fand viele Gleichgesinnte, die sich fortan an der Weiterentwicklung beteiligten. Alles lief auf einer freiwilligen Basis ab, die Ergebnisse wurden kostenlos der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt. Und alles passierte in einer relativ kleinen Community.
Irgendwann sprang der Funke vom freien Betriebssystem über – längst war Linux nicht mehr nur für Informatikstudenten interessant. Und rund um den Betriebssystemkern hatte sich eine Vielzahl nützlicher Anwendungen entwickelt. Teilweise Nachbauten bekannter Unix- oder Windows-Anwendungen, zum Teil aber auch ganz neue Lösungen. Waren es bisher irgendwelche „Spinner“ gewesen, die sich ihr eigenes Betriebssystem schreiben, so interessierten sich plötzlich immer mehr „normale Anwender“ für Linux. Und auch die Medien spürten: Da ist was im Busch. Linux als Microsoft-Killer? Linux für den kleinen Mann? Linux für die Massen?
Das Problem nur: Um Linux wirklich für normale Anwender interessant zu machen fehlte professioneller Support, es fehlte das Betriebssystem „out of the box“. Klar, jeder konnte sich die benötigten Dateien aus dem Internet besorgen und sich ganz nach Wunsch und eigenem Bedarf zusammenstellen. Aber genau das kann der normale Anwender nicht. Oder will es nicht. Und die aufkeimende Professionalisierung, die zugleich eine Kommerzialisierung mit sich brachte, war manchem altgedienten Linux-Enthusiasten ein Dorn im Auge. Einige sahen (und sehen) überall den Feind: in Microsoft, in IBM, Sun und HP, die mittlerweile den Trend erkannt haben, in Suse, Red Hat, Caldera und Co., die versuchen, mit Linux Geld zu verdienen…
Zugleich begannen all die, die vom Erfolg von Windows leben, den Zeitpunkt zu fürchten, an dem Linux wirklich erfolgreich sein würde. Und hierzu gehört bei weitem nicht nur Microsoft. Ganze Verlage, viele Journalisten, Schulungsanbieter, Softwareunternehmen und Consulting-Firmen leben hervorragend mit und durch Microsoft!
Tja, und damit hatte und hat es Linux schwer, sich Gehör zu verschaffen. Natürlich will niemand seine Pfründe gefährden. Und es fehlte lange Zeit die Lobby, die Linux schon aufgrund eigener kommerzieller Interessen ins Rampenlicht stellt.
Nun, was hat das alles mit Weblogs zu tun? Auf den ersten Blick wenig. Auf den zweiten Blick hingegen gibt es viele Parallelen. Auch bei den Weblogs ist die Entwicklung getrieben von privaten Entwicklern, die selten eine Entlohnung für ihre Arbeit sehen. Und diese Entwickler haben die Arbeit an ihren Tools aus Eigeninteresse begonnen – nicht, um kommerzielle Interessen zu bedienen. Die Vorteile von Weblogs liegen auf der Hand: Ohne sich groß um HTML und Design zu kümmern kann man aktuelle Inhalte auf seiner Seite bereitstellen. Man braucht keinen Webeditor, der mehrere Hundert Euro kostet … geschweige denn Content-Management-Systeme, die zigtausende von Euros kosten.
Und genauso wie bei Linux war der Einsatz zunächst von persönlichen Interessen geprägt, es entwickelte sich eine kleine Community um verschiedene Tools. Mehr noch: Dienstleister wie Blogger.com oder Antville.org erkannten die Entwicklung und entwickelten Blog-Angebote als ASP-Lösungen. Und zwar zu einer Zeit, als das Internet boomte und es eh alles kostenlos gab. Das Gratis-Weblog, das man binnen weniger Minuten betreiben kann – ganz ohne Kosten: ein ideales Angebot für die private Homepage. Da stört selbst eine Bannerwerbung nicht…
Doch Blogs – ob nun auf dem eigenen Server betrieben oder als ASP-Lösung bei einem spezialisierten Anbieter – waren bisher ein Phänomen, das auf private Homepages beschränkt blieb. Weitgehend zumindest. Dass sich manches Unternehmen längst die einfache Struktur von Weblogs zunutze gemacht hatte, blieb weitgehend verborgen. Durch die Medien rückte vielmehr eine andere Spielart in den Vordergrund: Webdiaries, die zwar weniger häufig aktualisiert werden, aber ganz ähnlichen Konzepten folgen. Für Teile der Presse war es ein gefundenes Fressen, über die egozentrischen Freaks zu berichten, die im Web nichts Besseres zu tun haben, als sich täglich gegenseitig darüber zu berichten, was für ein Müsli sie zum Frühstück haben und ob die Periode ausbleibt. Dass es auch Online-Tagebücher gibt, die durchaus spannend zu lesen sind und mehr Persönlichkeit besitzen als jede klassische Website, das wurde übersehen. Auch die vielen Blogs, die sich mit bestimmten Themen sehr gezielt und professionell auseinandersetzen, rücken kaum ins Licht der Öffentlichkeit.
Zweifellos: Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Nur, weil jemand ein Weblog-Tool einsetzt, muss keine erstklassige Website entstehen. Und seien wir ehrlich: Viele Weblogs richten sich an eine sehr kleine Zielgruppe, sind für die Masse herzlich uninteressant. Sie eignen sich viel mehr zur Nischenkommunikation und als Community-Element. Dass sie durchaus auch im kommerziellen Bereich ihre Berechtigung haben, das zeigen Blogs wie Gastgewerbe Gedankensplitter von Abseits oder auch eDings.de. Unternehmen wie Macromedia und Hanser haben mittlerweile das Potenzial von Blogs in der Kunden- und Mitarbeiterkommunikation für sich entdeckt. Und sogar Universitätsinstitute wie das Zentrum für Neue Medien an der Donau-Universität Krems beschäftigen sich mit Weblogs.
Warum sind dann aber die Aussagen zu Weblogs häufig so kontrovers? Auf der einen Seite müssen ganze Branchen um ihre Pfründe fürchten – ganz ähnlich wie bei Linux. Weblogs werden als Ersatz für teure CMS gepriesen. Weblogs erlauben die Aktualisierung von Online-Inhalten, ohne sich um Agenturen, Webdesigner oder Webmaster scheren zu müssen. Weblogs erlauben „demokratischen Journalismus“: Jeder kann das veröffentlichen, was ihm wichtig ist … die Macht der Medienkonzerne und Journalisten wird gebrochen. Und Weblogs revolutionieren Knowledge Management, Teamkommunikation, Online-Learning und und und.
Wundert es da wirklich, dass viele sich auf den Schlips getreten fühlen? Und wie bei Linux ist es einfach, sich eine Meinung zu bilden. Wer einmal ein schlechtes Weblog gesehen hat, der hat alle gesehen. Wer meint, nur „privaten Mist“ zu sehen, wird sich nicht bemühen, nach verborgenen Perlen aktiv zu suchen. Wer nur einen Blick für zweit-, dritt- und viertverwertete Inhalte hat, der wird die Eigenleistungen der Weblog-Betreiber nicht sehen. Und wer selbst ein Blog betreibt, der muss ja dafür sein. Wieder so ein Hype-Thema, das eigentlich niemanden wirklich interessiert. Tausende von Weblogs … und keiner will sie lesen!
Doch halt: Die Wirklichkeit ist noch viel komplexer. Entwickler wie Andreas Ahlenstorf werden von dem Erfolg ihrer Tools eingeholt. Supportanfragen und Wünsche, ja Forderungen, nach Weiterentwicklung in bestimmte Richtungen werden von Nutzern gestellt, ohne dass man auch nur einen Sinn, geschweige denn einen finanziellen Vorteil aus dem eigenen Tun ziehen könnte. Und zugleich sind da nicht nur die Neider von außen, sondern auch die Neider innerhalb der Community. Die, die alles besser wissen und besser gemacht hätten.
Erschwerend kommt auch hinzu, dass der Begriff „Weblog“ (oder kurz: Blog) in den verschiedensten Definitionen Verwendung findet. Ursprünglich bezeichnete der Begriff eine häufig (oft mehrmals täglich) aktualisierte, private Webseite, auf der sich in umgekehrt-chronologischer Reihenfolge (das Aktuellste zuerst) zahlreiche kleine Beiträge – versehen mit Autor, Datum und Uhrzeit – mit Links und Kommentaren vor allem zu anderen Webseiten befinden. Damit waren Weblogs im Grunde die Fortsetzung der „What’s cool“-Seiten zu Zeiten von Mosaic – der Frühzeit des World Wide Web.
Mittlerweile wird der Begriff „Weblog“ auch verwendet, wenn die Seite nicht privater Natur ist und der Fokus nicht unbedingt auf der Verlinkung und Kommentierung anderer Webangebote liegt. Also eine häufig aktualisierte, chronologisch sortierte Zusammenstellung von Micro-Content eines oder mehrerer Autoren, wobei die Einträge zeitlich eingeordnet werden können. Andererseits wird mit dem Begriff auch eine Webseite bzw. Website bezeichnet, die mit einem Weblog-Tool, also einer spezialisierten Software, erstellt und regelmäßig gepflegt und ergänzt wird.
Das Problem ist ein wenig, dass letztlich – ähnlich wie bei dem Begriff „Content Management“ – niemand so genau weiß, um was es sich handelt und warum er sich damit beschäftigen soll. Was benötigt wird, ist eine vorurteilsfreie, zielgerichtete Beschäftigung mit dem Phänomen „Blogging“. Was kann durch den Einsatz solcher Tools erreicht werden, was nicht? Für wen eignen sich solche Werkzeuge, wo versagen sie (und warum)?
Ein Blog ist keine Eier legende Wollmilchsau. Es ist aber auch kein Instrument nur für Freaks und Spinner. Vielmehr ist – ganz ähnlich wie bei Linux – die genaue Beschäftigung damit nötig, was man selbst für einen Bedarf hat und ob eine bestimmte Lösung dafür geeignet ist. Und ganz wie bei den verschiedenen Linux-Distributionen hat jedes Blogging-Tool, ob nun ASP-Lösung, LAMP-script für den Server oder Desktop-Programm, seine spezifischen Besonderheiten, die im konkreten Einsatz zu Vor- bzw. Nachteilen werden können. Aber genau diese Beurteilung muss im Einzelfall erfolgen. Es gibt eben nicht die eine beste Lösung – so wie Blogging überhaupt nicht immer ein geeignetes Instrument darstellt.
Interessant sind allerdings die Reaktionen von Personen, die sich bisher nicht mit dem Thema Blogging auseinandergesetzt haben. Auf manche übt das Konzept in kürzester Zeit eine große Faszination aus. Oft sind dies Personen, die auch in ihrer sonstigen Tätigkeit viel mit Texten zu tun haben: Den Programmleiter eines großen Wirtschaftsverlages habe ich im Gespräch binnen weniger Minuten derart mit dem Blogging-Virus infiziert, dass er sich noch am gleichen Tag bei Blogger.com ein eigenes Weblog für die geschäftliche Nutzung eingerichtet hat. Andere Personen können sich kaum vorstellen, überhaupt regelmäßig neue Inhalte bereitzustellen. Für sie sind Weblogs ebenso ein Buch mit sieben Siegeln wie für diejenigen, die eh schon an informationeller Reizüberflutung leiden und sich nun vorstellen, sie müssten nun auch noch hunderte von Blogs lesen.
So eröffnet Blogging ein breites Spektrum an Möglichkeiten. Durch die Aufhebung der technischen Beschränkungen wird viel kreatives Potenzial freigesetzt, was sich durch zahlreiche Beispiele belegen lässt. Es werden Dinge möglich, die sich bisher nicht (oder nur mit einem erheblichen finanziellen Aufwand) realisieren ließen.
Das Schöne daran: Niemand ist gezwungen, sich damit zu beschäftigen, aber jeder kann. Man braucht kein Studium, ja: nicht einmal umfangreichere HTML-Kenntnisse, um sich Weblogs anzuschauen oder gar selbst zum Blogger zu werden. Aber keine Angst: Weblogs werden die Webdesigner und Agenturen nicht arbeitslos machen. Die Anbieter von CMS werden nicht wegen der Blogs Kunden verlieren. Und auch die Journalisten, die Presselandschaft und die Medienkonzerne werden von den Weblogs nicht hinweggefegt werden. Vergessen wir nicht: Trotz Linux geht es Microsoft und all den anderen immer noch recht gut!