Comdex: Mitleid für Spammer Bulk-Mailer
Nun gut – eigentlich hat es ja nichts mit der Comdex zu tun … Vielmehr ist es Zufall, dass ich den Bericht im Wall Street Journal über eine selbsternannte Spam-Queen ausgerechnet auf dem Flug nach Las Vegas lese. Aber jetzt weiß ich wenigstens, warum ich eigentlich Mitleid mit den armen, unverstandenen Spammern haben sollte. Und zudem habe ich noch einiges über die Geschäftsmodelle der Spammer erfahren… Laura Batterly lebt in Florida, ist 41, geschieden und Mutter zweier Kinder. Und sie gehört zur ständig wachsenden Schar der Leute, die ihren Lebensunterhalt im Home Office verdienen. Ihr Unternehmen Data Resource Consulting Inc. hat sie vor sechs Monaten mit ein paar Freunden für $15.000 gegründet … und laut Laura ist es profitabel. Was sie besonders freut: Sie kann sich ihre Zeit frei einteilen, es bleibt genügend Raum für ihre Kinder.
Ein Traumjob? Nun, das kommt ganz darauf an. Für viele Internetnutzer gehört Laura zu den meistgehassten Personen. Laura ist nämlich Spam-Queen. Okay, sie würde es wohl eher „Bulk Mailing“ nennen, womit sie und ihr Unternehmen sich beschäftigen.
60 Millionen E-Mails sendet Data Resource Consulting pro Monat über die verschiedensten Provider aus. Immer schön in Häppchen zu 150, um nicht auf die schwarzen Listen der Provider zu geraten. Laura betont, dass es sich dabei nicht um Spam handelt, denn irgendwann und irgendwie haben die Empfänger mal zugestimmt, werbende Mails zu erhalten. Beispielsweise bei der Anmeldung zu einem kostenlosen Mailangebot, der Registrierung für einen Chatroom, der Teilnahme an einem Gewinnspiel oder auch bei der letzten Online-Bestellung. Laura lehnt es ab, Werbung für Angebote zu machen, hinter denen sie nicht stehen kann. Und sie legt Wert darauf, dass alles völlig legal ist. Man achte die Privatsphäre der Nutzer. Alle Mails enthalten Informationen, wie man sich wieder von der Liste abmelden kann.
Ein Geschäft wie jedes andere, findet Laura. Viele kleinere Anbieter hätten ohne Werbemails kaum eine Chance, an Kunden zu kommen. Und für sie ist es einfach eine legitime Möglichkeit, den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder zu verdienen. Data Resource Consulting beschäftigt vier Mitarbeiter. Doch wie funktioniert das Business?
Das Unternehmen wird in der Regel erfolgsabhängig bezahlt. Schon bei einer Response-Quote von 0,001% (ja, richtig gelesen) kann es sich für Data Resource Consulting lohnen. „Es ist alles eine Frage der Verhandlung“, so Laura. Bei der Werbung für ein Gewinnspiel, dessen eigentliches Ziel es ist, mehr Daten über die Teilnehmer zu erfahren, bekommt sie 0,10$ für jeden teilausgefüllten Fragebogen und 0,75$ für jeden vollständig ausgefüllten. Geht es um den Verkauf von Produkten, so kann die Provision schnell bei 20$ bis 50$ liegen. Mobilfunkverträge bringen auch mal 85$. Übliche Response-Quoten liegen deutlich unter einem Prozent, zwei Prozent wären außergewöhnlich – für klassische Direktvermarkter wäre solch ein Ergebnis eine mittlere Katastrophe.
Aber das Unternehmen versendet nicht nur Mails im Kundenauftrag und berät auf Wunsch bei der Entwicklung einer geeigneten „E-Mail-Marketing“-Strategie. Geworben dafür wird … man hätte es sich fast denken können … ebenfalls über preisgünstige Massenwerbemails. Und man baut einen immer größeren Adressbestand auf, den man gegen Gebühr auch anderen zur Verfügung stellt. Je größer der Adressbestand und je genauer die Profile, umso erfolgreicher das Geschäft. Laura kann nach den unterschiedlichsten Kriterien filtern: Nur männliche Empfänger im Alter von 18-25? Nur Selbstständige aus dem Raum Las Vegas? Verheiratete mit Haushaltsnettoeinkommen >5.000$? – Alles kein Problem.
Neulich wollte Laura gerne den qualifizierten Adressbestand eines anderen Unternehmens hinzukaufen. Doch die 200.000$ waren ihr zu teuer. Also sann sie nach anderen Möglichkeiten … und fand ein weiteres Unternehmen, dessen Adressbestand den des anderen hervorragend ergänzte und damit wertvoller machte. Sie brachte beide zusammen – und darf nun zum Dank die Adressbestände beider Anbieter gratis nutzen.
Das alles liest sich in dem Artikel des Wall Street Journal Europe fast wie die Geschichte von Aschenputtel. Man tut nur Gutes, niemand kommt zu Schaden, alles ist völlig legal und natürlich zahlt Data Resource Consulting auch für die in Anspruch genommenen Providerleistungen. Für den schlechten Ruf der Branche seien allein die schwarzen Schafe verantwortlich, die für unseriöse Angebote werben, für Sexangebote oder die einfach die Empfänger hereinlegen wollten, wie die Nigeria-Connection beispielsweise. Sie selbst verdiene nur ihren Lebensunterhalt und bewege sich komplett im gesetzlichen Rahmen. Warum sollte man das einer allein erziehenden Mutter verbieten?
Ja, natürlich gibt es auch manchmal Beschwerden von Empfängern. Dann würde man dafür sorgen, dass diese Person zukünftig eben keine Aussendungen mehr erhält. Ärgerlicher ist es da schon, wenn sich Provider beschweren und auch schon mal den Account für 30 Tage sperren. Aber dafür arbeite man ja mit vielen Providern.
Nun, das Beispiel zeigt, dass das Problem unerlaubter Werbesendungen tiefer liegt. Laura sieht die von ihrem Unternehmen versendeten Mails nicht als Spam an. Und sie bietet nur Dienstleistungen für andere Unternehmen, wie dies auch die klassischen Direktvermarkter tun. Selbst Anbieter von Spamblockern nutzen ihren Service.
Auf der anderen Seite wird Spam immer mehr zu einem Problem: 38% der gesamten versendeten E-Mails sollen nach aktuellen Untersuchungen bereits aus Massenwerbesendungen bestehen. Sowohl in Europa als auch in den USA wird Spam immer häufiger verboten. Aber zumeist sind die Gesetze zahnlos.
Soll ich jetzt also Mitleid mit der zu Unrecht angefeindeten Laura haben? Ihr Beispiel zeigt zumindest: Die Spammer sitzen nicht immer im Untergrund und scheuen das Licht. Vielmehr sind sie Teil eines Netzwerks, einer Branche, die einfach das Prinzip des Direktmarketings auf die E-Mail-Kommunikation übertragen hat. Das Problem ist nur, dass sich noch selten ein klassisches Geschäftsmodell eins zu eins auf das Internet übertragen ließ.
(Mit Material des Artikels „Some Bulk E-Mailers Make a Healthy Living On Steady Diet of Spam“ von Mylene Mangalindan in „The Wall Street Journal Europe“ vom 13.11.2002 — Great work, Mylene!)
(Ach ja, natürlich bin ich gut in Las Vegas angekommen. Danke der Nachfrage!)