Megatrend 2004: “Nachhaltigkeit” – eine Rück- und Vorschau
Wieder einmal Jahreswechsel. Was hat uns 2003 gebracht … und was erwartet uns wohl in 2004? 2003 war geprägt vom „Kampf gegen der Terror“, von Reform-Gerede und davon, dass der Einzelne sich an allen Ecken und Enden belogen und betrogen fühlen konnte: Kriegsberichterstattung, bei der weder die eingebetteten Reporter noch die selbst ernannten War-Blogger irgendwelche Erhellungen brachten. Noch immer nicht gefundene Massenvernichtungswaffen. Der gefakte Turkey des Herrn Bush, der seine Truppen überraschte. Ein milliardenschwerer Saddam im Erdloch, der die Welt überraschte. Terrorwarnungen schienen nicht ausgesprochen worden zu sein, um vor Terror zu warnen, sondern die Bevölkerung wach- und fügsam zu halten. Die deutschen Politiker erinnerten sich andererseits kaum an das, was sie noch vor drei Tagen behauptet hatten. Und Möllemann und Friedman scheinen eigentlich uninteressant hinsichtlich der Diskussionen um Reformen und soziale Einschnitte, um Skandale und Skandälchen wie die rund um die Bundesanstaltagentur für Arbeit, um Toll Collect, um das Verteidigungsministerium, um … Ach ja: eDings ist ja kein politisches „Tagebuch“. Und in anderen Ländern ist es auch nicht besser…
Konjunktur
In vielen Branchen wurden Arbeitsplätze abgebaut. Die Konjunktur war 2003 im Keller und nun soll wird der Aufschwung 2004 kommen. Ob die Entlassenen dann aber neue Arbeit finden, steht in den Sternen. Denn warum sollte man Rationalisierung und Kostensenkung nicht weiter vorantreiben? Aus Sicht der Unternehmen und des Shareholder-Value stören Mitarbeiter doch eigentlich nur. Und für die Börse war 2003 ein wirklich gutes Jahr. Der Gewinner: Freenet mit einem sagenhaften Kursgewinn von 1.118 Prozent! (Womit aber noch längst nicht die einstigen Höhen erreicht sind…)
Blöd allerdings, dass Leute, die wenig Geld haben oder um die Sicherheit ihres Jobs fürchten, auch weniger konsumieren. Und so ist der Handel ebenso frustriert wie die Tourismusbranche. Billigheimer wie Aldi und Lidl (deren Produkte gar nicht schlecht sind, wie mancher feststellte) nehmen den Supermärkten die Kunden weg. Und auch das Weihnachtsgeschäft war miserabel – aber z.B. Amazon meldet das beste Weihnachtsgeschäft seit Bestehen. Vielleicht haben wir die Grenzen des Wachstums erreicht?
Korrektur
Ach ja, online: Bertelsmann und die T-elekom haben die Führungsspitze ausgewechselt und Kurskorrekturen vorgenommen. Andere auch, wenn auch weniger öffentlich. AOL Time Warner hat das AOL aus dem Namen gestrichen. Von den verbliebenen Unternehmen der „New Economy“ hat 2003 für etliche weitere das Ende bedeutet (siehe auch dotcomtod.de). Interessanterweise oftmals für die Unternehmen, die kurz zuvor noch die rosigsten Zukunftsperspektiven gemalt haben.
Kommunikation
Der rote Faden bei all diesen Themen ist allerdings die Kommunikation. Der Einzelne fühlt sich nur noch als Opfer von PR. Was ist eigentlich wirklich? Wem oder was kann man noch glauben? Oder heiligt der Zweck wirklich jedes Mittel?
Und so muss 2004 auch ein Umdenken erfolgen – quer durch alle Bereiche. Die Kommunikation – soll sie denn wirksam sein – muss zu mehr Ehrlichkeit und Nachhaltigkeit zurückfinden. Im Kleinen wie im Großen! Wer diesen Trend 2004 verpasst, wird es schwer haben.
Kognition
Weblogs haben sich im deutschen Sprachraum einen Platz erobert – von einigen gefeiert als „alternative Berichterstattung“: Jeder wird sein eigener Journalist und Redakteur. Zwar sind sie bei Weitem nicht so bedeutsam, wie mancher Blogger meint (und mancher Award und manche Konferenz glauben machen will) – und die meisten Weblog-„Inhalte“ verdienen diesen Namen nicht mal, aber es wurde eine Entwicklung vollzogen, die in den USA schon vor Jahren stattfand. Zu sehen ist das auch an der Vielzahl neuer Hosting-Angebote: von Blogger.de und Blogg.de über twoday.net bis 20six.de. Die Geschäftsmodelle erscheinen allerdings manchmal recht unausgegoren … und vielleicht berichten wir dann im kommenden Jahr vom großen Hoster-Sterben?
Ach ja … Weblog-Tools gibt es mittlerweile auch wie Sand am Meer. Gewinner des Jahres für mich: pMachine. Und der Verlierer (leider): Sunlog – Daniel Fiene hat mit seiner Ankündigungspolitik dem einstigen Primus wohl mehr geschadet als geholfen. Nun hat sich der ursprüngliche Entwickler wieder eingeschaltet und es befindet sich ein „Sunlog light“ in Entwicklung, das jetzt aber „Sunlog“ heißt … und aus „Sunlog“ wurde „Sunlog classic“. Oder so. Erinnert mich an das Werk eines unzufriedenen Creative Directors bei einer nicht genannten großen Werbeagentur…
Ähnlich traurig sieht es um vielgepriesene Zusatzdienste aus. GeoURL wurde in den Himmel gelobt … nutzt das eigentlich wirklich jemand aktiv? Überhaupt ließ der Durchbruch von „location based services“ 2003 auf sich warten. Und auch Voice- und Conference-Blogging waren wohl eher Rohrkrepierer als Senkrechtstarter.
Konserven
Ein Problem bei dieser Entwicklung sind jedoch weniger die Hostingangebote und Tools, sondern vielfach fehlende (eigene) Inhalte und fehlende Nachhaltigkeit. Warum soll man etwas lesen, das dann eh wieder nur die altbekannten Quellen wiedergibt und wo die Eigenleistung fehlt? Blättert man durch die Archive mancher Blogs, so findet man mehr tote als funktionierende Links, die da doku- und kommentiert sind. Als Wissensspeicher taugt so was dann allerdings nicht, sondern trägt eher zur allgemeinen Umwelt-(Informations)-Verschmutzung bei. Interessant auch: Als wir über eine allgemeine Krise im Online-Publishing berichteten, hat uns mancher für geistig unterbelichtet erklärt, der jetzt seit Monaten kaum noch etwas schreibt. Kreativpausen und aufgelassene Weblogs gibt es jedenfalls mittlerweile zuhauf.
Es ist eben gar nicht so einfach, Themen zu recherchieren, Texte zu schreiben und auch noch eine Art „Qualitätskontrolle“ zu etablieren. Irgendwie ist das wie beim interaktiven Fernsehen: Es scheint, die neue Freiheit ist oft viel zu anstrengend, um sie wirklich zu wollen. Aber so was darf man natürlich nicht schreiben – oder eben nur in eDings… Zweifellos wird es im kommenden Jahr allerdings noch mehr Leute geben, die feststellen, dass Schreiben echte Arbeit ist.
.Komiker
Noch viel schlimmer: Unsere Überlegungen zur „Wertschöpfungskette“. Die gibt es nämlich gar nicht, wurde ich belehrt. Von denjenigen, die mittlerweile ihre Blogs mit Werbebannern und Partnerprogrammen zukleistern und die als seriöse Online-Journalisten natürlich am liebsten einen Presseausweis beantragen und von überall Rezensionsexemplare beziehen würden. Man lernt nicht aus!
Dass es die „Wertschöpfungskette“ gibt, haben einige publikumswirksame Projekte im deutschen Verlagswesen bewiesen. Haufenweise Bestseller von Bohlen und Ex-Bohlens. Der Rest wird dann von den „Superstars“ und Juhnke (nein, diesmal nicht Harald, sondern Susanne) beigesteuert. Bleibt da eigentlich für „seriöse“ Werke noch Platz in den Marketingbudgets – und in den Geldbörsen der Kunden?
Kommerz
Apropos Geldbörsen: Bezahlinhalte im Web haben 2003 immer weiter um sich gegriffen. Zum Teil erfolgreich, zum Teil weniger. 2004 wird das weitergehen. Aber noch immer hat sich kein geeigneter Bezahlstandard neben der Kreditkarte wirklich durchgesetzt. Und das Verhältnis zwischen Besuchern und denen, die tatsächlich für Bezahlinhalte Geld ausgeben, liegt bei vielen Angeboten noch immer eher im Promille- denn im Prozentbereich. Die anderen ergötzen sich lieber an Gratisinhalten oder kopieren sich das Gewünschte aus dunklen Kanälen (‚KaZaA‘ war 2003 der meistgesuchte Begriff bei Yahoo und Lycos!) . Und das, obwohl alle Umfragen eine hohe und zudem weiter steigende Zahlungsbereitschaft für digitale Inhalte bescheinigen.
Diese Selbstbedienungsmentalität wiederum soll durch DRM (Digital Rights Management), Kopierschutz und neue Gesetze zwar verhindert werden, aber den Einzelnen stört das wenig. Dabei ist interessant zu sehen, wie sich die Perspektive ändert, wenn man selbst nicht als Konsument, sondern als Produzent und Anbieter auftritt. Spätestens, wenn man bemerkt, dass kostenlose Überlassung von Inhalten doch nicht die gewünschten Werbeeffekte im erhofften Ausmaß bringt, oder wenn plötzlich die eigenen Inhalte unter fremdem Namen woanders zu finden sind, dann beginnt der eine oder andere doch, über Copyright, Quellenangaben und faire Links nachzudenken. Tja … ich könnte jetzt ja sagen, ich habe es gleich gewusst.
Ein weiteres Thema im vergangenen Jahr: Das Online-Marketing hat sich weiter verändert. Während manche Experten über fragwürdige Erfolgsfaktoren für E-Mail-Marketing ganze Bücher schreiben, machen Germanwings, Tchibo und Co. vor, wie es funktionieren kann. Hier geht es viel weniger um Personalisierung als um den versprochenen Mehrwert. Man kann also Nachrichten aussenden, die Hunderttausende gleichermaßen interessieren – wenn man die richtigen Inhalte hat. Wenn nicht, muss man sich eben etwas einfallen lassen. Die üblichen 08/15-Newsletter aber mussten schon 2003 ums Überleben kämpfen. Und 2004 wird das so weiter gehen.
Koordination
Dafür hat Google die Online-Werbung für jedermann populär gemacht. Die AdWords, die längst nicht mehr nur bei Google selbst eingeblendet werden, machen auch ohne Agentur gezielte Online-Kampagnen möglich. Und Konkurrent Overture ist nicht untätig und kooperiert mittlerweile sogar mit Strato. Und 2003 war dank Google der Durchbruch für Content-bezogene Werbung. Im Grunde kann nun jeder Online-Anbieter seine Seiten mit inhaltlich passender Werbung der Konkurrenz beglücken. Zumindest, wenn die Algorithmen, die die passende Werbung heraussuchen, nicht versagen. Denn passend zum Fallschirmabsturz des Jürgen W. Möllemann Werbung für Tandemsprünge einzublenden ist dann schon ein wenig eigenwillig.
In den USA bastelt Google übrigens auch an Lösungen, um Werbung mit regionalem Bezug gezielt schalten zu können. Für touristische Informationen klappt das auch schon ganz gut: Zu den Reiseinfos über San Francisco gibt es dann die passenden werblichen Hotel-, Restaurant-, Einkaufs- und Erlebnistipps. Seien wir gespannt, wohin uns diese schöne neue Werbewelt 2004 führen wird.
Konfusion
BTW: Google will 2004 an die Börse. Viel Erfolg, die Zeit drängt! Denn obwohl Google noch immer die Suchmaschine Nummer 1 ist und man nicht müde wird, neue Geschäftsfelder zu erschließen, zeigt doch der Kern des Ganzen, nämlich das Page-Ranking der Suchergebnisse, mittlerweile große Probleme. Bei manchen Suchen finden unbedarfte Nutzer nur noch gefakte Ergebnisseiten auf den ersten 10, 20 Positionen. Im amerikanischen Sprachraum ist es noch schlimmer. Und die Konkurrenz liegt auf der Lauer – selbst Microsoft, kürzlich noch als potenzieller Investor gehandelt, arbeitet an einer eigenen Suchmaschine.
Google ist dann auch nur ein weiteres Opfer eines in 2003 immer weiter um sich greifenden Problems: Spam. Haben bei Google findige so genannte „SEOs“ (Search Engine Optimizer) Wege gefunden, den Page-Ranking-Algorithmus zu überlisten und die Suchmaschine mit unsinnigen Eintragungen zuzumüllen, so hat jeder von uns im vergangenen Jahr feststellen können, wie die eigene Mailbox ebenso von unerwünschten Werbemails zugemüllt wurde. Immer mehr Provider und Anwender setzen mittlerweile auf Spamfilter – und die Spammer werden nicht müde, diese immer wieder zu überlisten. 2004 wird dieser Kampf weitergehen – wir dürfen gespannt sein.
Kaffeesatz
Zu sehr will ich mich nicht aus dem Fenster lehnen, was die Hightech-Trends für 2004 angeht. Eines ist sicher: UMTS muss kommen, sonst wird das für die Mobilfunkunternehmen zum Flop des Jahrhunderts. In Österreich beispielsweise ist UMTS ja auch schon Realität.
Ansonsten verweise ich einfach auf die Top-10-Trends von Red Herring. Lesenswert und eine wirklich interessante Prognose!
Übrigens: Von der Gesellschaft für deutsche Sprache wurde 2003 „Das alte Europa“ ist zum Wort des Jahres gekürt. Der von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld polemisch gemeinte Begriff hat sich nach Ansicht der Sprachhüter zu einem Ausdruck „für ein neu gewonnenes positives Selbstverständnis“ Europas gewandelt. Das stimmt doch tröstlich für das kommende Jahr!
Ganz persönlich geht mit dem Jahreswechsel für mich auch eine Ära zu Ende: 19 Jahre lang war Kaiserslautern meine Wahlheimat. Nun habe ich Abschied von der Pfalz genommen, die neuen Standorte sind Köln (ja, zurück in die Heimat!) und Wien. Nachdem das Renovieren und Umziehen auch in eDings Spuren hinterlassen hat, stehen nun für 2004 neue Herausforderungen an. Manches muss sich erst noch einspielen, aber ich freue mich auf das, was kommt!