Gütesiegel für barrierefreie Websites?
Intern.de berichtet über einen Streit zwischen dem Aktionsbündnis für barrierefreie Informationstechnik (AbI) und dem Barriere Kompass. Beide Organisationen wollen eigentlich barrierefreies Webdesign fördern und so Behinderten den Zugang zu Online-Informationen erleichtern. Doch nun scheint man beim AbI eine einheitliche Qualitätskennzeichnung für barrierefreie Internetseiten zu forcieren, was eine kostenpflichtige Zertifizierung bedeuten würde.
Für eine solche Zertifizierung braucht es dann einerseits Geld (und vermutlich nicht wenig), andererseits klare Richtlinien, was Barrierefreiheit laut Kennzeichnung denn eigentlich bedeutet. Und genau hier setzt die Kritik des Barriere Kompass an: Man fürchtet, dass objektive Richtlinien nicht bestehen und durch eine Zertifizierung Behinderte mit bestimmten Behinderungen anderen gegenüber bevorzugt werden könnten. Zudem würden die Kosten für eine solche Zertifizierung (die vom Seitenbetreiber oder seiner Agentur zu zahlen sind) kleine Agenturen und Online-Anbieter benachteiligen. Diese aber sind es häufig, die besonderes Engagement bei der Gestaltung barrierefreier Webseiten an den Tag legen.
Die Kritik ist sicher nicht von der Hand zu weisen – zumal die Zielgruppe von vielen Online-Anbietern völlig vernachlässigt wird. Und natürlich gibt es viele unterschiedliche Behinderungen, die ganz verschiedenen Lösungswegen bei der Seitengestaltung bedürfen: Jemand mit starker Sehbehinderung braucht andere Features als jemand mit motorischen Defiziten. Und wer rot-grün-blind ist, dem hilft es auch nicht, wenn er die Schriftgröße auf der Seite beliebig vergrößern kann, nicht aber die Farbgestaltung anpassen…
Insgesamt erinnert mich der Ruf nach Zertifizierung an die Gütesiegel für geprüfte Online-Shops, die vor Jahren aus dem Boden sprossen. Kaum jemand wusste, was eigentlich geprüft und zertifiziert wurde … die Gütesiegel waren mehr Marketing als hilfreiches Kriterium für Online-Kunden. Und gerade kleinere Shops verzichteten auf die Zertifizierung als Kostengründen. Den größten Nutzen aber hatten die Zertifizierungsstellen, zumal die Gütesiegel (kostenpflichtig) jedes Jahr erneuert werden sollten.
Seit dieser Zeit stehe ich solchen Zertifizierungen skeptisch gegenüber … und es gab zahlreiche Bemühungen, alles und jedes zu zertifizieren – natürlich zum Wohl des Kunden. Nach Gütesiegeln für gute Online-Shops, seriöses E-Mail-Marketing, korrektes Datensammeln nun also behindertengerechtes Webdesign? Von mir aus. Aber dann bitte auf freiwilliger Basis und kostenlos oder höchstens zu Selbstkosten.
Aber vermutlich ist dieser Wunsch zu fromm … schließlich schaffen es findige Unternehmer, aus allem Geld zu schlagen. Intern.de schreibt dazu:
Der Informatiker Wolfgang Wiese (XWolf) dazu in seinem Blog: "Mir scheint,
die Kommerzialisierung des Produkts ‚Barrierefreiheit‘ ist nunmehr in vollem
Gange". Und ein Produkt muss kostenseitig auf Stromlinie gebracht werden. Das
geht in diesem Fall am besten, wenn man sich idealistischer Vorstellungen
entledigt und samt ihrer Vertreter über Bord wirft.
Hoffentlich nicht!