Suhrkamp gegen den Rest der Welt?
Der Suhrkamp-Verlag hat es in den vergangenen Wochen geschickt geschafft, dem neuen Werk von Martin Walser (Tod eines Kritikers) mit viel Medientamtam eine große Aufmerksamkeit zu verschaffen. Über die Qualität des Werks weiß kaum jemand etwas – schließlich kommt es erst am 26. Juni in die Buchhandlungen.
Klar ist aber, dass diese PR-Aktion (ob jetzt gewollt ins Leben gerufen oder versehentlich losgetreten) nur funktionieren konnte durch ein enormes Echo in der klassischen wie auch den Online-Medien. Selbst unser Kanzler wurde zu seiner Meinung gefragt … und musste zugeben, dass er ja den Roman gar nicht kennt und daher die Antisemitismus-Vorwürfe nicht verifizieren kann.
Ist es bei all diesem Medienhype ein Wunder, dass man sich als „Normalsterblicher“ auch informieren möchte? Da wird (wie so oft) berichtet, ohne dass der Wahrheitsgehalt überprüft werden könnte. Im Grunde wirkt es da wie eine geschickte Viralmarketing-Kampagne, dass der Text plötzlich vorab im Internet auftauchte. Die Frage bleibt: Was ist wohl die Quelle? Der Roman ist ja noch gar nicht verfügbar … zwar gibt es wohl ein Word-Dokument aus dem Hause Suhrkamp, das an Journalisten gemailt wurde, aber sonst? „Bravo, Suhrkamp“ … hätte man fast rufen mögen. Fast. Denn augenscheinlich erkennt der Verlag nicht, welche geniale PR da für einen Roman gemacht wurde, für den sonst wie bei Walsers letztem Werk vielleicht schnell das Interesse verloschen wäre (siehe auch den Zeit-Artikel „Ich war Walsers Susi“).
Aber nein – Suhrkamp sind die Geister ein Dorn im Auge, die man gerufen hat! Und so geht man mit harten Bandagen gegen Websites vor, die eigentlich dafür (aus Sicht der PR-Wirkung) belohnt werden sollten, dass sie diesem Medienrummel gefolgt sind. Konkret ist jetzt der Schockwellenreiter Opfer einer Suhrkamp-Abmahnung geworden, weil dort ein Link auf den (illegal) im Web zu findenden Romantext zu finden war. Die Abmahnung ist gleich mal mit Gebühren von 1.201,80 Euro verbunden, bei Zuwiderhandlung drohen 100.000 Euro Vertragsstrafe.
Liest man aber die User-Reaktionen zu dieser Aktion, so könnte es sein, dass Suhrkamp sich hiermit keinen Gefallen getan hat. Und aus dem Internet wird man den Text so eh nicht mehr entfernen können … dazu hat sich nach der Berichterstattung über den illegalen Download bei Heise und Co. die ganze Sache viel zu weit verbreitet…
Merke: Marketing braucht Sinn und Verstand, nicht die Holzhammermethode – Suhrkamp sollte zumindest Fairness zeigen und die Abmahnkosten übernehmen, denn losgetreten wurde die ganze Diskussion um den neuen Walser nicht von Schockwellenreiter und Co. – das sind nur Opfer in einer schlechten Marketing-Inszenierung. Und den „normalen“ Leser will der Verlag wohl bewusst bis zum 26. Juni uninformiert lassen … aber ob der sich so verdingen lässt?